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Die Börse (German Edition)

Die Börse (German Edition)

Titel: Die Börse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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erste, ein Mann im Alter von etwa sechzig Jahren, trug einen Anzug, wie er, wie ich glaube, für Ludwig XVIII., der damals regierte, erfunden worden war, und durch den das schwierigste Bekleidungsproblem von einem Schneider gelöst war, der sich damit sicher unsterblich gemacht hat. Dieser Künstler verstand unzweifelhaft die Kunst der Übergänge, die ja auch das Wesen dieser politisch so beweglichen Zeit ausmachten. Und ist es nicht ein sehr seltenes Verdienst, wenn man seine Epoche richtig zu beurteilen versteht? Dieses Kleid, das die jungen Männer von heute für eine Fabel halten werden, war weder ein Zivil- noch ein Militärrock und konnte abwechselnd bald für das eine, bald für das andere angesehen werden. Aufgestickte Lilien schmückten die Aufschläge der beiden rückwärtigen Schöße. Die vergoldeten Knöpfe zeigten ebenfalls das Lilienmuster. Auf den Schultern verlangten die beiden leeren Stege nach nutzlosen Epauletten. Diese beiden militärischen Abzeichen wirkten da wie eine Petition ohne die erforderliche Nachschrift. Das Knopfloch des königsblauen Rockes des alten Herrn war mit mehreren Ordensbändern geschmückt. Seinen Dreispitz mit goldener Schnur trug er sicherlich immer in der Hand, denn die schneeweißen Flügel seines gepuderten Haars zeigten keine Spur eines Huteindrucks. Er sah nicht älter aus als fünfzigjährig und schien sich einer robusten Gesundheit zu erfreuen. Wiewohl sie den loyalen und freimütigen Charakter eines alten Emigranten anzeigte, verriet seine Physiognomie doch auch die lockeren, leichtfertigen Sitten, die lustigen Passionen und die Unbekümmertheit jener Musketiere, die einst in den Annalen der galanten Welt so berühmt gewesen waren. Seine Bewegungen, seine Haltung, seine Manieren zeigten deutlich, daß er weder auf seine royalistische Gesinnung, noch auf seine Religion, noch auf seine Liebesabenteuer verzichten wollte.
    Ein wahrhaft phantastisches Gesicht erschien hinter diesem anspruchsvollen »Voltigeur Ludwigs XVI.« (das war der Spitzname, den die Bonapartisten diesen adligen Überbleibseln der Monarchie gegeben hatten); aber um es deutlich zu zeichnen, müßte man es zum Hauptgegenstand des Gemäldes machen, in dem es nur eine Nebenfigur ist. Man stelle sich eine vertrocknete magere Person vor, die wie der erste Besucher gekleidet, aber sozusagen nur sein Abglanz war, oder, wenn man will, sein Schatten. Der Rock, bei dem einen neu, war bei dem andern alt und abgebraucht. Der Haarpuder schien bei ihm weniger weiß, das Gold der Lilien weniger glänzend, die Epaulettenstege hoffnungsloser und zusammengeschrumpfter, die Intelligenz schwächer und das Leben dem verhängnisvollen Ende näher zu sein, als bei dem andern. Kurz, er schien Rivarols Wort über Champcenetz wahr zu machen: »Das ist mein Mondschein.« Er war nur eine Dublette des andern, eine matte, erbärmliche Dublette, denn es bestand zwischen ihnen der volle Unterschied wie zwischen dem ersten und dem letzten Abdruck einer Lithographie. Dieser stumme Alte war ein Geheimnis für den Maler und blieb es auch beständig. Dieser Chevalier, er war Chevalier, redete nicht, und es sprach auch niemand mit ihm. War es ein Freund, ein armer Verwandter, ein Mann, der sich neben dem alten Galan wie ein Gesellschaftsfräulein neben einer alten Dame hielt? War er ein Mittelding zwischen einem Hunde, einem Papagei und einem Freunde? Hatte er seinem Wohltäter sein Vermögen oder auch nur das Leben gerettet? War er der »Trim« eines anderen Kapitäns Tobias? Überall erregte er, wie bei der Baronin von Rouville, Neugier, die niemals befriedigt wurde. Wer konnte sich unter der Restauration an das Verhältnis erinnern, das vor der Revolution den Chevalier mit der Frau seines Freundes, die vor zwanzig Jahren verstorben war, verbunden hatte? Die Persönlichkeit, die von diesen beiden Trümmern vergangener Zeit als die noch neuere erschien, näherte sich galant der Baronin von Rouville, küßte ihr die Hand und nahm neben ihr Platz. Der andere verbeugte sich und stellte sich neben sein Vorbild, zwei Stühle von ihm entfernt. Adelaide lehnte sich mit den Ellbogen auf die Rücklehne des Sessels, in dem der alte Edelmann saß, wobei sie unbewußt die Haltung annahm, die Guérin auf seinem berühmten Bilde Didos Schwester gegeben hat. Obgleich die Vertraulichkeiten des Edelmanns wie die eines Vaters waren, schienen die Freiheiten, die er sich erlaubte, dem jungen Mädchen in diesem Moment unangenehm zu sein.
    »Nun, schmollst

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