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Die Börse (German Edition)

Die Börse (German Edition)

Titel: Die Börse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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zeigte auch die Spuren unauslöschlicher Trauer. So wenigstens wollte sich der Maler die Haltung und die Miene der alten Dame erklären, neben der er jetzt Platz nahm.
    »Gnädige Frau,« sagte er, »es wird nur noch kurze Zeit dauern, dann werden die Farben dieses Pastells vollkommen verschwunden sein. Dann wird das Bild nur noch in Ihrem Gedächtnisse weiter existieren. Dort, wo Sie noch ein Ihnen teures Antlitz sehen werden, werden die andern nichts mehr wahrnehmen können. Wollen Sie mir gestatten, die Ähnlichkeit der Züge auf die Leinwand zu übertragen? Dort wird sie dauerhafter festgehalten sein als auf diesem Papier. Gewähren Sie mir freundschaftlich als Nachbarin diese Gunst und das Vergnügen, Ihnen einen Dienst leisten zu können. Es gibt Stunden, in denen ein Künstler sich gern von den Anstrengungen bei seinen großen Kompositionen an weniger wichtigen Arbeiten erholt; es wird für mich eine Zerstreuung sein, diesen Kopf nachzubilden.«
    Bei diesen Worten fing die alte Dame an zu zittern, und Adelaide warf auf den Maler einen nachdenklichen Blick, der wie aus der Tiefe der Seele hervorbrach. Hippolyte wollte sich ein Band schaffen, das ihn mit seinen beiden Nachbarinnen verknüpfte und ihm das Recht gab, sich mit ihren Angelegenheiten zu befassen. Sein Anerbieten, das sich an die wärmsten Gefühle des Herzens richtete, war das einzige, das er machen durfte: es lag Künstlerstolz darin, und es hatte nichts Verletzendes für die beiden Damen. Frau Leseigneur nahm es an, nicht begeistert und nicht widerwillig, sondern mit dem Bewußtsein großer Seelen von der Bedeutung des Bandes, das solche Verpflichtungen knüpfen, und worin ein warmes Lob und ein Beweis von Hochachtung enthalten sind.
    »Mir scheint,« sagte der Maler, »daß dies die Uniform eines Marineoffiziers ist.«
    »Jawohl,« sagte sie, »es ist die eines Schiffskapitäns. Herr von Rouville, mein Mann, ist in Batavia an den Folgen einer Verwundung gestorben, die er beim Kampfe gegen ein englisches Schiff erhalten hat, dem er an der asiatischen Küste begegnete. Er befehligte eine Fregatte von sechsundfünfzig Kanonen, und der ›Revenge‹ war ein Schiff von sechsundneunzig. Der Kampf war also sehr ungleich; aber er verteidigte sich so tapfer, daß er, bis es Nacht wurde, durchhielt und entrinnen konnte. Als ich nach Frankreich zurückkehrte, war Bonaparte noch nicht an der Regierung, und man verweigerte mir eine Pension. Als ich letzthin von neuem darum einkam, sagte mir der Minister mit harten Worten, daß, wenn der Baron von Rouville sich den Emigranten angeschlossen hätte, er mir erhalten geblieben wäre; daß er heute sicherlich Konteradmiral sein würde; und Seine Exzellenz schloß die Unterredung damit, daß er auf ich weiß nicht welches Gesetz über den Pensionsverlust hinwies. Ich habe diesen Schritt, zu dem mich Freunde gedrängt hatten, nur um meiner armen Adelaide willen getan. Ich habe immer einen Widerwillen dagegen empfunden, wegen eines Verlustes, bei dem einer Frau die Stimme und die Kräfte versagen, die Hand auszustrecken. Ich liebe eine Geldentschädigung für unrettbar vergossenes Blut nicht ...«
    »Liebe Mutter, dieser Gesprächsgegenstand ist immer so schmerzlich für Sie.«
    Bei diesem Worte Adelaidens neigte die Baronin Leseigneur von Rouville das Haupt, und versank in Schweigen.
    »Ich dachte, Herr Schinner,« sagte das junge Mädchen zu Hippolyte, »daß die Arbeit des Malers im allgemeinen wenig Geräusch mache.«
    Bei dieser Frage errötete Schinner in Gedanken an den Lärm, den er gemacht hatte. Aber Adelaide vollendete nicht und ersparte ihm eine Ausrede, indem sie sich plötzlich beim Geräusch eines Wagens, der vor der Tür stillhielt, erhob und in ihr Zimmer ging, aus dem sie gleich wieder mit zwei vergoldeten Armleuchtern mit frischen Kerzen zurückkehrte, die sie anzündete; und ohne das Anschlagen der Glocke abzuwarten, öffnete sie die Tür des ersten Zimmers, in dem sie die Lampe stehen ließ. Das Geräusch eines empfangenen und erwiderten Kusses verspürte Hippolyte bis in sein Herz. Die Ungeduld des jungen Mannes, denjenigen zu sehen, der sich gegen Adelaide so vertraut benahm, wurde nicht so schnell befriedigt, denn die Angekommenen hatten mit dem jungen Mädchen eine leise geführte Unterhaltung, die er ziemlich lange dauernd fand. Endlich erschien Fräulein von Rouville wieder, gefolgt von zwei Männern, deren Kleidung, Gesicht und Erscheinung eine ganze Geschichte für sich bedeuteten. Der

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