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Die Börse (German Edition)

Die Börse (German Edition)

Titel: Die Börse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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starken Naturen zu einer furchtbaren Zerstörung, die auf Enttäuschungen und betrogenen Hoffnungen und Liebesleidenschaften beruht. So ging es auch dem jungen Maler. Er eilte frühmorgens fort, um in dem erfrischenden Schatten der Bäume des Tuileriengartens herumzuwandeln, tief in Gedanken versunken und alles um sich her vergessend. Da begegnete ihm zufällig einer seiner intimsten Freunde, ein Kamerad von der Schule und dem Kunstunterricht her, mit dem er näher als mit einem Bruder verbunden war.
    »Nun, Hippolyte, was ist dir denn?« sagte Franz Souchet, ein junger Bildhauer, der eben den Grand Prix davongetragen hatte und in Kürze nach Italien gehen sollte.
    »Ich bin sehr unglücklich«, antwortete Hippolyte traurig.
    »Dann kann es nur eine Herzenssache sein, die dir Kummer macht. Denn Geld, Ruhm, Ansehen, alles das hast du.«
    Unmerklich begann der Maler sein Herz auszuschütten und erzählte von seiner Liebe. Sobald er die Rue de Suresne erwähnte und die junge Person, die dort im vierten Stock wohnte, rief Souchet lachend aus: »Halt, das ist ja die Kleine, die ich jeden Morgen in der Kirche de l'Assomption sehe und der ich den Hof mache. Aber die kennen wir ja alle, mein Lieber. Ihre Mutter soll eine Baronin sein? Und du glaubst an Baroninnen, die im vierten Stock wohnen? Brrr! Du lebst wohl noch im goldenen Zeitalter. Alle Tage treffen wir hier in dieser Allee die alte Mutter; ihr Gesicht und ihr Aussehen sagen doch alles. Wie? Hast du denn nicht schon an der Art, wie sie ihren Beutel trägt, gemerkt, was das für eine ist?«
    Die beiden Freunde gingen lange Zeit auf und ab, und mehrere junge Männer, Bekannte Souchets und Schinners, schlossen sich ihnen an. Das Abenteuer des Malers, das ihm wenig zu bedeuten schien, wurde ihnen von dem Bildhauer mitgeteilt.
    »Er hat die Kleine auch gesehen!« sagte er.
    Es wurden nun Bemerkungen darüber gemacht, man lachte und spottete mit der unbekümmerten zwanglosen Art der Künstler, die aber Hippolyte fürchterliche Qualen verursachte. Eine gewisse Keuschheit des Empfindens bereitete ihm Schmerz, wenn er sah, wie leichtfertig sein Herzensgeheimnis behandelt, sein leidenschaftliches Gefühl in Fetzen gerissen und über ein fremdes junges Mädchen, das ein so bescheidenes Leben zu führen schien, wahr oder falsch mit solcher Ungeniertheit abgeurteilt wurde. Er stellte sich, als ob ihn das zum Widerspruch reizte und fragte jeden Einzelnen ernsthaft, welche Beweise er für seine Behauptungen hätte; aber da begannen die Spöttereien von neuem. »Aber, lieber Freund, hast du denn den Schal der Baronin nicht gesehen?« sagte Souchet.
    »Bist du der Kleinen mal nachgegangen, wenn sie morgens in die l'Assomption trippelt?« sagte Joseph Bidau, ein junger Atelierschüler von Gros.
    »Die Mutter besitzt, außer anderen Vorzügen, ein gewisses graues Kleid, das ich geradezu für typisch halte«, sagte der Karikaturzeichner Bixiou.
    »Höre, Hippolyte,« begann der Bildhauer wieder, »komm doch mal gegen vier Uhr hierher und sieh dir Mutter und Tochter genau an, wenn sie vorbeigehen. Wenn du dann noch Zweifel hast, dann ist dir nicht zu helfen: dann bist du imstande, die Tochter deiner Portierfrau zu heiraten.«
    Von den widersprechendsten Empfindungen durchwühlt, verließ der Maler seine Freunde. Adelaide und ihre Mutter schienen ihm über solche Anschuldigungen erhaben zu sein, und im Innersten seines Herzens verspürte er Gewissensbisse, daß er die Reinheit dieses jungen, so schönen und so schlichten Mädchens beargwöhnt hatte. Er begab sich in sein Atelier, ging an der Tür vorbei, hinter der sich Adelaide befand, und fühlte im Herzen einen Schmerz, über den keine Täuschung möglich war. Er liebte Fräulein von Rouville so leidenschaftlich, daß er sie, trotz des Diebstahls der Börse, immer noch anbetete. Seine Liebe glich der des Chevaliers des Grieux, der seine Geliebte noch verehrte und für rein halten wollte, als sie schon in dem Karren saß, der sie in das Gefängnis für liederliche Frauenzimmer brachte.›Warum sollte meine Liebe sie nicht zur reinsten aller Frauen machen können? Warum soll ich sie dem Bösen und dem Laster überlassen, ohne ihr die rettende Freundeshand zu reichen?‹ Eine solche Aufgabe erschien ihm verlockend. Die Liebe weiß alles zu ihren Gunsten zu wenden. Nichts ist für einen jungen Mann so verführerisch wie die Aussicht, bei einer Frau die Rolle des guten Genius zu spielen. Es steckt eine gewisse Romantik in einem solchen

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