Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
inzwischen eine genaue Vorstellung davon, wie die Hussiten ihre Wagenburgen befestigten: Sobald die Wagen zu einer runden Form aufgefahren waren, wurden sie untereinander mit schweren Ketten verbunden. Breschen wurden von Kämpfern mit Pavesen gedeckt. Die passgenauen langen Bretter, die längs unter jedem Wagen befestigt waren, wurden so herabgelassen, dass die Lücke zwischen Erde und Wagenboden geschlossen war.
Bei einigen Wagen konnten die Bretterwände, die sonst neben den Seitenaufbauten hingen, halb hochgezogen und -gestemmt werden. Diese Wände schützten die Verteidiger, die auf den Wagen standen und durch kleine Schießscharten ihre Feuerwaffen und Armbrüste auf die Angreifer richteten.
Auch die Feuerwaffen gehörten zum Erfolgsgeheimnis der Hussiten. Sie verstanden sich auf deren Gebrauch in einer Weise, die kein christlicher Ritter lernte.
Bei manchen anderen Wagen hingen die Bretterwände an den Seiten herab und machten es unmöglich, die Räder zu beschädigen. Cord hatte auch schon gesehen, wie vor dem unteren Teil der Räder zusätzlich Erde aufgehäuft wurde.
An den größeren Schlachten hatten auf hussitischer Seite oft genug auch Ritter des böhmischen Adels teilgenommen. In diesem Fall fehlten sie jedoch, oder einige wenige verbargen sich im Inneren des Wagenkreises.
Cord betrachtete das hölzerne Bollwerk aus der Ferne: achtzehn Wagen, auf beinah jedem flatterte die Flagge mit dem Laienkelchmotiv im lebhaften Wind. Er vermutete, dass sie es mit einer besonders wagemutigen Abordnung der Hussiten zu tun hatten, vielleicht zweihundert Taboriten, die einen weiten Vorstoß wagten, um später dem größeren Heer Bericht zu erstatten, welch leichtes Spiel sie gehabt hatten. Zweihundert erschien nicht viel, doch zu viel, wenn man nicht mehr als vierzig Ritter und zehn Knechte dagegen aufbieten konnte.
Eine der Wagenburgseiten war wie häufig auch noch durch einen Fluss geschützt. Die Spree war im Sommer vermutlich ein kaum nennenswertes Rinnsal, durch das Frühlingshochwasser zurzeit jedoch ein beachtlicher Strom. Sie wand sich zwischen zwei sanften Hügeln hindurch in Richtung Cottbus. Die Wagenburg lag zu Füßen des diesseitigen Hügels.
Die jungen Brandenburger waren zu Cords Erleichterung weder unbedachte Heißsporne noch Feiglinge. Sie warteten müde, aber aufmerksam auf seine Entscheidungen, während er mit seinem Pferd am Zügel dastand und sich durch den Sinn gehen ließ, was er alles nicht tun würde, weil die Hussiten ohnehin darauf vorbereitet sein würden. Er musste eine Möglichkeit finden, sie zu überraschen.
Ein einsamer Reiher flog über die Wagenburg stromabwärts. Cord sah, wie einige Armbrustbolzen zu ihm emporschnellten, ihn jedoch verfehlten. Mit selbst nach so langer Zeit noch immer nicht vergangenem Schmerz schweiften seine Gedanken zu Hedwig. Sie hätte den Reiher getroffen, wie sie damals vor langer Zeit die Krähe auf von Schwarzburgs Zelt getroffen hatte. Und möglicherweise wäre seiner wilden Maid auch ein Mittel gegen die Wagenburg eingefallen.
Wie so oft fragte er sich flüchtig, wo sie sein mochte und ob sie zufrieden war, um sich diese Gedanken sogleich wieder zu verbieten. Sie gehörte nicht mehr zu seinem Leben. Seinem Leben voll Unruhe und verfluchter Hussiten. Wütend hob er einen Stein auf und warf ihn in Richtung der Wagen. Der Stein landete in einer Pfütze, das Wasser spritzte hoch.
Einen Atemzug später wusste er, was die Hussiten überraschen würde.
» Ein Staudamm«, sagte er. » Wir spülen sie heraus aus ihrer wurmigen Holzburg. Und zwar verdammt schnell.«
Nachdem sie einige widerwillige Bauern rekrutiert hatten, die ihnen mit Wagen, Gespannen und Füllmaterial dienlich sein mussten, ließ Cord die Knechte damit beginnen, in großer Eile den Fluss unterhalb des Hussitenlagers aufzustauen, gerade dort, wo der Boden rechts und links des Ufers anstieg.
Es war kaum mehr als ein Glücksspiel, da er weder viel vom Bauen noch von Flüssen verstand, doch tatsächlich trat gegen Abend die Spree, wie von ihm beabsichtigt, über die Ufer und kroch auf die Wagenburg zu.
Gespannt und zum Angriff bereit beobachtete Cord in der langsam herabsinkenden Dämmerung aus sicherer Entfernung das Geschehen. Meistens sah Dieter ihm dabei über die Schulter. Als das Wasser die Wagen beinah erreicht hatte, taten die Hussiten, was Cord sich erhofft hatte.
Schnell, doch wohlgeordnet lösten sie die Burg auf und brachten die Wagen in Fahrt. Um eine ängstliche
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