Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
der Nacht wankte.
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Angeklagt
H edwig sah Cord nicht noch einmal, bevor er die Stadt verließ. Er schickte ihr zum Abschied einen Boten, der ein Geschenk für Juli brachte. Es war ein zierlicher Bogen mit einer Handvoll stumpfer Pfeile, die als Spielzeug für ein kleines Kind nicht besser passen konnten. Hedwig musste lachen, während ihr die Tränen kamen. Und noch am selben Tag holte sie ihre eigenen Bögen und Pfeile von dem Dachboden, auf den sie sie verbannt hatte, wenn auch vorerst nur, um sie zu betrachten.
Wenige Tage später stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass Dieter in Pressburg geblieben war. Sie entdeckte ihn im Vorüberreiten in Gesellschaft einiger junger brandenburgischer Ritter am Rande des Turnierplatzes vor der Stadt.
Juli war bei ihr, und sie ritten in Begleitung des alten Pferdeknechts, dem Wilkin gelegentlich etwas Geld für diesen Dienst gab. Dieter sah sie und nickte ihr verblüffend höflich zu. So höflich blieb er, wenn sie sich in den folgenden Wochen zufällig begegneten. Gezielt näherte er sich ihr nicht noch einmal, und von seinen Plänen erfuhr sie erst, als endlich Sigismund und mit ihm Wilkin wieder nach Pressburg kamen.
Wie üblich wartete sie im Haus darauf, dass Wilkin sich aus dem Gewirr des reisenden Gefolges freimachen konnte, und wie üblich strahlte er vor Freude über seine Heimkehr, als er kam. Bei seinem Anblick fragte sie sich, wie sie auch nur einen Augenblick lang daran hatte denken können, ihn zu verlassen. Mochte es ihrer Ehe mit Wilkin auch an Leidenschaft fehlen, so waren ihre Achtung für ihn und ihre Zuneigung doch immer weiter gewachsen. Sie war sich immer bewusst, dass es nicht sein Fehler war, wenn sie sich nie vollkommen glücklich fühlte.
Es war selbstverständlich, dass sie ihn in den nächsten Tagen häufig an den Hof begleitete. In besseren Zeiten hatte Wilkin ihr eine Zofe eingestellt, wenn solche Gelegenheiten sich häuften, doch da der Mietzins für das Haus in Pressburg hoch war und Wilkins Vater ihnen nach wie vor niemals freiwillig etwas zukommen ließ, fehlte es ihnen mittlerweile immer an Geld. Glücklicherweise hatte Mara im Laufe der Jahre so viel Erfahrung darin gesammelt, Hedwig anzukleiden, dass sie sich dennoch einer angemessenen Erscheinung sicher sein konnte.
An einem dieser Abende bei Hof trat Dieter zu ihnen, begrüßte sie und seinen ehemaligen Lehrherrn formvollendet und bat Wilkin, ihn König Sigismund vorzustellen. Hedwig hatte Wilkin oberflächlich von Cords Besuch und von der Auseinandersetzung mit ihrem Bruder berichtet und ihn um Nachsicht für Dieter gebeten, daher willigte er ein.
Kurz darauf wusste sie, dass es den ruhelosen, jungen Kämpen in die Walachei zog– dorthin, wo ihrer beider Bruder Köne seit Jahren die Grenze zum osmanischen Reich verteidigte. Dieter bekam von Sigismund den Auftrag, einige Ritter des Deutschen Ordens zu begleiten, die sich auf des Königs Wunsch hin entlang des Flusses ansiedeln wollten, um Festungen zu errichten und zu bemannen.
Einige Wochen blieben Sigismund und sein Gefolge in der Stadt. Wilkin jedoch wurde von Kurfürst Friedrich auf die Cadolzburg ins Nürnberger Land gerufen, um dessen siebzehnjährigen Sohn Albrecht abzuholen und nach Pressburg zu geleiten. Hedwig wusste, dass Friedrich Wilkin aus mehr als nur diesem einen Grund sehen wollte. Ihr Gemahl versorgte den Kurfürsten noch immer regelmäßig mit wahrheitsgetreuen Berichten von Sigismunds Unternehmungen und Plänen.
Es ging dabei nicht unbedingt um Geheimnisse, aber doch um Einzelheiten, die auf anderem Wege vielleicht nicht unverfälscht an Friedrichs Ohr gedrungen wären. Die Bindung zwischen ihm und Sigismund war durch zahllose Zerwürfnisse und Versöhnungen zwar nicht feindselig, doch unzuverlässig. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es weiterhin nicht ausgeschlossen war, dass die polnische Thronfolge über den inzwischen achtzehnjährigen Jung-Friedrich an Kurfürst Friedrichs Nachkommen fiel.
Den jungen Albrecht in Sigismunds Hofstaat einzuführen, gehörte zu den versöhnlichen Gesten, mit denen der Kurfürst sich immer wieder bemühte, Sigismunds Misstrauen gegen ihn zu beschwichtigen.
Hedwig fiel es schwer, sich darüber zu freuen, als Wilkin mit Albrecht zurückkehrte. Zu sehr bedrückte sie die endlose Folge höfischer Verpflichtungen, die Wilkin nun besonders wichtig nahm, um Albrecht zu unterstützen. Mit Bedauern hatte sie außerdem ihren Bogen nach Wilkins Heimkehr wieder auf den
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