Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
linken, dort, wo die Fessel eingeschnitten haben musste.
Hedwig konnte nicht warten, bis er sich besonnen hatte. » Was ist? Was haben sie gesagt? Was wird geschehen?«
Mit einem Gesichtsausdruck, wie sie ihn so gemein noch nie bei ihm gesehen hatte, wandte er sich ihr zu. » Wie kommt es, dass du nie den Mund halten kannst, wenn es dir besser anstünde, aber mir jahrelang verschweigst, was mich anginge? Wie kommt das? Gott weiß, ich habe mir Mühe gegeben, mit deiner unbedachten Art leben zu lernen, sie dann und wann sogar geschätzt, weil sie mir zumindest mit reiner Aufrichtigkeit einherzugehen schien. Nun weiß ich, dass dieser Vorzug nicht weit reichte. Sei so gut und überleg dir, ob es nicht etwas gibt, das du mir schon lange hättest sagen sollen. Vielleicht verliere ich dann den Glauben an deine Ehrlichkeit nicht ganz.«
Hedwig blieb vorerst jedes Wort in der Kehle stecken. Hatte ihm einer der böswilligen Intriganten eine Lüge eingeflüstert, die auch noch zwischen ihm und ihr Zwietracht stiften sollte? Ging es um ihr Verhältnis zu Cord? Doch wenn es sich nicht um ihn handelte, wäre es fatal gewesen, ihn jetzt auch nur zu erwähnen. Und welchen Nutzen hätte es, da doch nichts zwischen ihm und ihr geschehen war oder je geschehen würde, was eine Bedeutung für Wilkin und ihr Leben mit ihm hatte?
» Ich weiß nicht, was du meinst, Wilkin. Wer hat dir etwas über mich erzählt? Vielleicht wollen sie uns mit ihren Lügen zermürben.«
» Du bist schnell mit dem Wort › Lügen‹ bei der Hand. Aber womöglich hatte von Schwarzburg recht, wenn er dich warnte. Er hätte sofort deine Bestrafung fordern können. Wie konntest du gleich sicher sein, dass Dieter nicht schuldig war? Wie konntest du so vorlaut… Wie…?«
Abrupt wandte er sich von ihr ab und sah wieder durch die Scheiben, eine Hand berührte das Glas, die andere war zur Faust geballt. Seine gesamte Haltung wirkte, als würde er lieber zuschlagen als reden. So hatte sie ihn nie zuvor erlebt.
» Von Schwarzburg ist bis ins Mark böse, Wilkin. Und Dieter hätte den König nicht betrogen, auch wenn er andere schlechte Eigenschaften hatte. Auch mein Vater und Onkel Johann haben bei all ihren Fehden darauf Wert gelegt, niemals den König selbst zu beleidigen oder zu missachten. Dein Vater und von Schwarzburg haben sich zusammengetan, um uns zu vernichten. Warum gerade jetzt, wüsste ich gern, kann es mir aber nicht erklären. Ich vermute, sie brauchten so lange, um zu planen, wie sie alle ihre Ziele vereinen und gleichzeitig einen tieferen Keil zwischen den Kurfürsten und Sigismund treiben können. Meinst du nicht, dass sie auch zwischen uns einen Keil treiben wollen? Sag mir doch, was du glaubst, mir vorwerfen zu müssen.«
Auf die Gefahr hin, dass er tatsächlich nach ihr schlug, ging sie zu ihm und berührte ihn zaghaft an der Schulter. Bei aller Anspannung sah er so müde und verzweifelt aus, dass sie ihn gern getröstet hätte. Doch sie hatte den Verdacht, dass gerade sie ihm den größten Kummer verursacht hatte.
Schließlich begann er zu sprechen, heiser und so tonlos, als bewegte es ihn nicht. » Mein Vater nahm mich beiseite, angeblich, um mich für meinen Verrat zu tadeln. Doch in Wahrheit teilte er mir mit, dass meine Mutter tot ist. Schon vor Monaten ist sie gestorben. Langsam und qualvoll. Er hat es mir mit Genuss geschildert. Und mit Triumph, als er mir eröffnete, dass sie ihm auf sein Drängen hin am Ende endlich gestanden hätte, welcher ehrlose Lump mein leiblicher Vater war. Sie hat gehofft, dass er ihre Qual verkürzt, wenn sie ihm sagt, was er wissen will. Was er dennoch nicht getan hat, wie er betonte. Dazu sei er ein zu guter Christ. Richard von Restorf. Dein Ziehvater Richard, nicht wahr? Du hast es all die Jahre gewusst. Warum hast du mir nichts gesagt? Wie konntest du mich so lange belügen?«
Er verharrte schweigend, ohne sie anzusehen. Betroffen zog sie ihre Hand zurück. Im Laufe der Zeit hatte sie aufgehört, darüber nachzudenken, ob sie ihm Richards Geheimnis preisgeben sollte. Zuvor hatte sie stets nur überlegt, auf welche Weise es ihn kränken würde, die Wahrheit zu erfahren. Niemals hatte sie in Betracht gezogen, wie es ihn treffen würde, dass sie nicht ehrlich zu ihm gewesen war. Und niemals hatte sie sich ausgemalt, was geschehen würde, wenn er es von anderen erfuhr. Noch dazu in einer so unglücklichen Lage wie der gegenwärtigen.
Sieh nach, ob es ihm gutgeht, und gib ihm mein Schwert. Das war der
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