Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
seiner Gegenwart nie gefühlt.
Köne bedauerte nicht, dass der Kurfürst seine Reisepläne durchkreuzt hatte. Die Aussicht, in Nürnberg König Sigismund zu begegnen, versetzte ihn in Hochstimmung.
Entsprechend leicht nahm er den Abschied von seiner auf so seltsame Weise auferstandenen Schwester. Mit förmlichen Worten vertraute er Hedwig an der Kreuzung, wo sich ihre Wege trennen sollten, den beiden Meißner Gefolgsmännern an. Er verabschiedete sich mit einem » Gott befohlen« und klang dabei, als wäre er froh, sie loszuwerden.
Wilkin empfahl sich mit einer überheblich leichten Verneigung im Sattel. Hedwig fühlte sich zu bedrückt, um sich zu ärgern. So lange hatte sie das Ziel verfolgt, diese beiden Männer zu finden, und nun gingen sie nach lächerlich kurzer Zeit von ihr, als wäre sie ihnen völlig gleichgültig. In einigen Tagen würden sie sich vielleicht schon nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Kaum hatten sie sich getrennt, ließen die Männer ihre Pferde antraben. Hedwig sah ihnen über die Schulter nach, während ihre eigene Reisegesellschaft in gemächlichem Schritt den Weg nach Meißen fortsetzte.
Adam ritt neben den beiden Männern vorweg und unterhielt sie mit der Fabel von dem Adler und der Schildkröte, die fliegen lernen wollte. Er flocht heitere Gesangsfetzen in seine ausgeschmückte Erzählung ein und brachte die Männer mit Leichtigkeit zum Lachen. Irina folgte ihnen mit den Maultieren am Strick. Hedwigs Schwarzer hatte es nicht eilig, sondern nutzte ihre Gedankenversunkenheit, um am Wegesrand neben Tristans witternder Nase Gras zu rupfen. Erst als die anderen eine Kurve erreichten, die sie in einem umgebenden Wäldchen außer Sicht brachte, besann der Hengst sich darauf, sie einholen zu wollen. Er fiel so plötzlich in seinen machtvollen Galopp, dass Hedwig mit ihrem Gleichgewicht zu kämpfen hatte und ihre schlecht festgeschnürte Mantelrolle zu Boden fiel. Mühsam musste sie das Pferd zügeln und dazu bringen umzukehren. Als sie abgestiegen war, riss der Schwarze sich los und lief wieder den anderen nach. Aufgeregt bellend rannte Tristan neben dem Hengst her, während Isolde, die eine Weile zuvor noch hoch am Himmel ihre Kreise gezogen hatte, dicht über den beiden flog.
Ungerührt hob Hedwig ihren Mantel auf und klopfte ihn ab, so gut es ging. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass ihr Pferd nicht einfach zu handhaben war. Immerhin war sie nicht gestürzt, was sie als Fortschritt empfand. Das kleine Stück zu laufen, würde ihr nicht schaden, sie war gut zu Fuß. Der Wind spielte mit dem Gras der sie umgebenden Heuwiesen, als triebe er Wellen über einen See. Die Luft war weit besser, als sie es im Heerlager gewesen war oder in der Stadt sein würde, und singende Lerchen stiegen beiderseits des Weges auf. Und den Hengst hatte Adam wahrscheinlich bereits wieder eingefangen. Tief atmend genoss Hedwig den Frieden des Sommertages.
Als sie um die Biegung im Wäldchen kam, sah sie links an einigen Bäumen die Pferde angebunden. Nur der Schwarze stand frei neben den Maultieren. Irinas Tasche und ihre Gugel hingen an einem Ast, Adams zweifarbiger Hut daneben. Hatten die zwei schon wieder rasten wollen?
Worüber Hedwig sich allerdings noch mehr wunderte, war, dass ihr Hund weder bei ihrem Pferd Wache stand noch ihr entgegengekommen war. » Adam? Irina?«, rief sie, bekam aber keine Antwort.
Eine unheilvolle Vorahnung ließ sie ihren Bogen von der Schulter nehmen. Bevor sie auch zu einem Pfeil greifen konnte, traf ein aus dem Gebüsch geworfener Knüppel sie so hart am Kopf, dass sie aufschrie und auf die Knie fiel. Wimmernd griff sie mit beiden Händen nach der bereits anschwellenden Beule. Ein Paar Beine in glänzenden Diechlingen schritt in ihr Sichtfeld. Die zur Rüstung gehörende eiserne Fußbekleidung war vorn so lang und spitz geschmiedet, wie die höfische Mode es auch von weicheren Schuhen verlangte. Als der Mann mit dem Fuß ausholte, öffnete Hedwig den Mund, um zu schreien, bekam ihn jedoch von einer harten, ebenfalls gepanzerten Hand zugehalten, bevor sie einen Laut herausbrachte. Der Mann vor ihr trat nicht mit der tödlichen Spitze seines Schuhes zu, traf sie aber brutal mit dem Fuß in die Seite. Schmerz flammte weißglühend durch sie, raubte ihr den Atem und jede Orientierung.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als der Schmerz ein wenig nachließ und sie sich auf der Erde liegend wiederfand. Die Kapuze ihrer Gugel war nach vorn gerutscht und verdeckte ihre
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