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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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die erlittene Grausamkeit in Irina eine bittere Wut entfacht hatten, fühlte Hedwig in sich eine nie gekannte Ängstlichkeit und Schwäche. Sie war so überzeugt davon gewesen, sich selbst verteidigen und für sich sorgen zu können. Ohne dass es ihr bewusst gewesen war, hatte sie doch immer im Sinn gehabt, sich einfach in den Wald zurückzuziehen, wenn ihr die Welt draußen nicht gefiel. Nun zweifelte sie daran, ob es überhaupt einen Ort gab, an dem sie sicher war.
    Aus ihrer Verzagtheit folgte, dass Hedwig sich in keiner Weise sträubte, als Gräfin Constantia eine Woche später einen Geleitzug zusammenstellen ließ, der Irina und sie auf der Elbe abwärts bis Quitzöbel und von dort zur Plattenburg bringen sollte. Cord hatte der Gräfin im kleinen Kreis ihrer Vertrauten erzählt, dass Gerhardt von Schwarzburg an dem Überfall beteiligt gewesen war. Sie glaubte ihm und Hedwig, doch ahnden konnte sie die Tat nicht. Spielleute waren rechtlos, kein Adliger konnte für ein Verbrechen an ihnen zur Rechenschaft gezogen werden. Ob es überhaupt als Verbrechen betrachtet würde, wenn ein Ritter einen fahrenden Betrüger aufhängte, war obendrein ungewiss.
    Was Hedwig betraf, wäre auch ihre Stellung vor Gericht schwach gewesen. Da sie überlebt hatte, war ihr nach den gängigen Maßstäben nichts Ernstes angetan worden. Ihre flüchtigen Eindrücke von den Tätern hätten zudem niemals als Beweis dienen können. Die Gräfin hielt es daher für besser, sie möglichst rasch aus Meißen fortzuschaffen, bevor von Schwarzburg sich noch einmal an sie erinnerte.
    Die Fahrt stromabwärts, mit dem breiten, flachbödigen Flusskahn, der auch die Pferde aufnehmen konnte, verlief zügig. Nur um Zoll und Maut zu zahlen, mussten die Schiffsleute und ihre Fahrgäste während der zehntägigen Reise mehrmals das Ufer aufsuchen.
    Kaum zwei Stunden dauerte anschließend der Ritt zur Plattenburg, wo Agnes von Quitzow im Schutz des Bischofs von Havelberg wohnte und haushielt, während ihr Gatte wie meist in kriegerischen Angelegenheiten unterwegs war. Johann von Quitzow hatte nach seiner Begnadigung durch den Kurfürsten zwar einen großen Teil seiner Besitzungen zurückerhalten, jedoch keine einzige verteidigungsfähige Burg. Um diesen Mangel an Vertrauen zu beheben, diente er seinem neuen Herrn so ehrgeizig, wie er in früheren Zeiten gemeinsam mit seinem Bruder Dietrich eigene Ziele verfolgt hatte.
    Obgleich der Bischof sonst die Burg im Sommer gern als Residenz nutzte, bestimmte bei Hedwigs Ankunft Agnes von Quitzows Hausstand das gesamte Leben dort. Der Burgherr hatte auf Bitten des Kurfürsten hin Johann auf seinem Feldzug gegen die widerspenstigen Städte begleitet.
    Die Plattenburg war weniger prächtig als die Albrechtsburg in Meißen, aber groß und wohlbefestigt. Bereits im Hof fiel Hedwig auf, wie sauber und ruhig alles war und wie geordnet die Arbeiten abliefen. Zwei junge Geistliche beaufsichtigten eine Gruppe von Knechten und Mägden, die Gerätschaften für die Heumahd auf einen Wagen luden. Einer von ihnen kam sogleich auf sie zu und wandte sich höflich an den Hauptmann des Geleitzuges.
    Wenig später stand Hedwig zum ersten Mal seit gut zehn Jahren ihrer Tante Agnes gegenüber, erleichtert darüber, dass sie eines der guten Kleider Gräfin Constantias trug. Ihre Tante sah aus wie das Muster einer tugendsamen Edelfrau. Ein Schleier bedeckte ihre schmucklose Haube, und über ihren Schultern hatte sie ein Tuch festgesteckt, das den Ausschnitt ihres dunklen Kleides verkleinerte.
    Sie begrüßte Hedwig und ihre Begleiter mit vor sich gefalteten Händen und einer winzigen Verneigung, ohne ein Zeichen des Erkennens und ohne sichtbare Neugier auf ihre Gäste.
    Erst nachdem sie den Brief der Meißner Gräfin gelesen hatte, den der Hauptmann ihr überreichte, verlor sie flüchtig ihre Haltung. Mit feindseliger Miene hob sie den Kopf und blickte Hedwig in die Augen. Doch ihr Ärger schien sich sogleich wieder zu legen, und sie fand zu ihrer vornehmen Würde zurück. » Sei willkommen, Nichte. Wir werden noch heute einen Dankgottesdienst für deine Wiederkehr abhalten. Der Allmächtige hat dir unermessliche Gnade erwiesen. Deine Demut und Ehrfurcht müssen groß sein.«
    Hedwig hatte längst keine Erwartungen mehr gehegt, was die Begrüßung durch ihre Verwandten betraf. Niemand schien sie vermisst zu haben, wie sollten sie sich da über ihre Rückkehr freuen? So nickte sie nur stumm. Über Gottesdienste wusste sie wenig, sie konnte sich

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