Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
nicht mehr daran erinnern. Richard hatte sie im Wald nur seine einfache Frömmigkeit gelehrt. Zum Essen, zum Sonntag, vor und nach der Jagd ein Gebet des Dankes und der Abbitte, darauf hatte er bestanden. Auch von den Sünden hatte er ihr erzählt und dass erwachsene Menschen zur Beichte gehen müssten, um sich von ihnen reinigen zu können. Dann und wann war er zum Kloster gegangen, um zu beichten. Doch die einzige Sünde, die er ihr je klar benannt hatte, war die der Falschheit. Sie war neugierig darauf, was ein echter Priester ihr über Gott und die Menschen erzählen würde.
Agnes klatschte leise in die Hände und winkte einer wartenden Magd. » Führe meine Nichte und ihre Zofe in die Kemenate, damit sie sich waschen und in Ruhe ihr Gebet sprechen können.«
Froh, Irina bei sich zu haben, die ihren unverhofften neuen Rang als Zofe widerspruchslos hinnahm, verabschiedete Hedwig sich mit einem Dank von den Männern des Geleitzuges. Sie vergalten es ihr mit einem freundlichen Nicken.
Hedwig nahm sich fest vor, zumindest so lange zu bleiben und sich mit ihrer Tante gutzustellen, bis sie ihrem Onkel begegnet war und mehr über ihre Familie erfahren hatte. Danach würde sie entscheiden, ob sie bleiben wollte.
Wilkin und seine Reisegenossen waren schnelles und ausdauerndes Reiten gewöhnt. Unbelastet von einem trägen Tross und anfälligen Mitreisenden erreichten sie Nürnberg schon am neunten Tag nach ihrem Aufbruch aus Dohna.
Die Stadt befand sich in fiebriger Erwartung der Ankunft König Sigismunds. Gefolge etlicher Fürsten lagerten bereits in Zelten vor ihren Mauern, die hohen Herren selbst bewohnten zum größten Teil komfortable Unterkünfte in der Nähe der Kaiserburg oder der Frauenkirche, wo die wichtigen Zeremonien und Versammlungen des Reichstages stattfinden würden.
Wilkin war schon mehrfach in Nürnberg gewesen, da die Stadt wenn schon nicht mehr Kurfürst Friedrichs Heimat, so doch dessen Herkunftsort war. Den Titel › Burggraf von Nürnberg‹ trug Friedrich schon weit länger als den des Kurfürsten von Brandenburg. Dass die Burggrafenburg nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Wittelsbachern in Trümmern lag und Friedrich seinen hiesigen Wohnsitz auf die Cadolzburg verlegt hatte, änderte nichts daran.
Ein schneller Reiter konnte die Cadolzburg von Nürnberg aus in wenigen Stunden erreichen, und ebendies wurde Wilkins erste Aufgabe. Kurfürst Friedrich, der seiner Ansicht nach bereits zu viele Tage damit verbracht hatte, an unbehaglichen Orten auf Sigismund zu warten, hielt sich nicht in Nürnberg auf. Wilkin sollte ihn gerade rechtzeitig auf der Cadolzburg abholen, wo er mit seiner Familie weilte, damit er die Stadt kurz vor dem König erreichen konnte.
Den Zeitpunkt zu bestimmen, würde nicht schwerfallen, denn Nachrichten über Sigismunds Reisefortschritt trafen stündlich ein. Vorerst musste Wilkin daher nichts weiter tun, als sich in das Getümmel der erwartungsfrohen Versammelten zu mischen und die Ohren offen zu halten.
Köne von Quitzow dagegen hatte sich vor der Stadt im Lager der kleinen Truppe einzufinden, die der Kurfürst dort unter seiner Flagge vorhielt, um seine grundsätzliche Anwesenheit auf dem Treffen zu signalisieren.
Wilkins Herberge hatte Friedrich klug im Haus eines befreundeten Patriziers gewählt. Aus dessen oberen Fenstern konnte man die Straße beobachten, auf der Sigismund und viele andere hohe Gäste nach Nürnberg einziehen würden, wie es Könige und Kaiser seit jeher taten. Wilkin hatte das Glück, ein stattliches Gemach für den Moment nur mit Dieter teilen zu müssen, dem er sein Lager überdies auch noch in einer Vorkammer zuweisen konnte. Erst wenn der Kurfürst in der Stadt eintraf, würde es hier eng werden.
Mit der langen, harten Reise in den Knochen sehnte Wilkin sich am Abend ihrer Ankunft nach dem bequemen Bett, welches in seiner Unterkunft lockte. Nach einem frühen Essen im Wirtshaus verzichtete er daher auf weitere Zerstreuung, obwohl die warme, helle Sommernacht dazu einlud, sich zu vergnügen, so wie es die meisten Anwesenden taten. Unter gewöhnlichen Umständen hätte auf den Straßen längst Ruhe geherrscht, und die Stadttore wären geschlossen gewesen, doch nun wurde auf jedem öffentlichen Platz musiziert, getanzt und gezecht. Die Tore waren zwar bewacht, doch nur einige geschlossen, um die draußen Lagernden nicht auszusperren.
Auf seinem Weg vom Wirtshaus zur Unterkunft schnappte Wilkin die eingängige Melodie eines
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