Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Wilkin dankbar war, weil dieser ihm vor Augen hielt, dass Ehrenhaftigkeit nicht nur ein leeres Ideal war. Sein Beschützerinstinkt Wilkin gegenüber war beinah so stark wie der für den ihnen anvertrauten Jungen. Es war ein Glück zu wissen, dass Wilkin bei aller Tugend im Kampf keine falschen Skrupel kannte, sondern es verstand, sich zu verteidigen.
Wilkin und der Junge ritten als zweites von sechs Paaren, Dieter und er selbst hinter ihnen. In seinem ungewohnt nervösen Zustand war es Cord sehr recht, dass Dieter so ausdauernd schwieg. Wäre es nach ihm gegangen, hätten alle schweigen müssen, damit er ungestört die Geräusche des Waldes deuten konnte. Stattdessen begann nun einer der Männer hinter ihm zu singen. Der Pfälzer hatte eine gute Stimme und kannte unterhaltsame Lieder, wie er bereits so manchen Abend am Feuer bewiesen hatte. An gewöhnlichen Tagen hätte Cord ihn mit Freude gewähren lassen, doch nicht an diesem. » Wilkin, sag ihm, er soll still sein«, entfuhr es ihm.
Zu seiner Erleichterung zögerte sein Freund nicht, wie es manch anderer schon deshalb getan hätte, weil ein Bastard ihm nichts zu sagen hatte.
» Ruhe dahinten! Ohren auf!«, befahl Wilkin scharf.
In der daraufhin plötzlich eintretenden Stille war es für einen Augenblick nur zu gut zu hören, dass die Geräusche abseits des Weges nicht von Vögeln oder einem aufgeschreckten Reh stammten.
Wilkin wechselte einen raschen Blick mit Cord, während sie beide schon ihre Waffen zogen. » Wenn ich › Wolf‹ rufe, galoppieren wir an, als wäre uns der Teufel auf den Fersen. Bleibt auf dem Weg. Sag es nach hinten durch.«
Jung-Friedrich zog mit leuchtenden Augen sein eigenes Schwert und sah sich im Wald um. » Was ist denn? Werden wir angegriffen?«
» Steckt das Schwert wieder ein und tut, als wäre nichts. Wenn ich es sage, dann treibt Euer Ross an, aber bleibt bei Cord«, sagte Wilkin.
» Aber wir werden doch nicht weglaufen. Wer es wagt, uns zu überfallen, soll etwas erleben«, empörte sich der Junge.
Wilkin schüttelte den Kopf. » Ihr werdet früh genug kämpfen. Cord, ich zähle darauf, dass du unseren Schützling in die vernünftige Richtung aus dem Getümmel schaffst.«
» Aber…«, setzte Jung-Friedrich erneut an.
Cord trieb sein Pferd zwischen ihn und Wilkin und hob den Finger an seine Lippen. » Verderbt uns den Augenblick nicht, junger Herr. Wir haben uns den ganzen Weg darauf gefreut, Euch ein Mal richtig beschützen zu dürfen. Macht, was er sagt, und steckt das Schwert weg, ich bitte Euch.«
Verdutzt schob der Junge langsam das Schwert wieder in die Scheide und sah ihn mit großen Augen an, bis Cord ihn mit einer Geste aufforderte, wieder nach vorn zu sehen.
» Wolf!«, schrie Wilkin, und die Geschehnisse überstürzten sich.
Als hätte er ein Rennen gestartet, trieben die Angehörigen der Reisegesellschaft ihre Rösser an und ließen sie den tief in die alten Dünen eingeschnittenen Waldweg entlangpreschen. Über ihnen verriet das Krachen von Ästen und Gewirbel fliehender Vögel, dass ihre Verfolger überrumpelt waren und sich ebenfalls beeilten.
Cord hatte bei Wilkins Ruf nach den Zügeln von Jung-Friedrichs Ross gegriffen und dafür gesorgt, dass der Junge bei ihm blieb, während die anderen sie überholten. Als der Letzte vorüber war, brachte er gewaltsam ihre Pferde zum Stehen und Wenden. Ein kurzes Stück folgte er dem Weg zurück, bis sie eine Stelle erreichten, wo die Pferde die Böschung erklimmen und den Weg verlassen konnten. Oben auf dem Dünenkamm suchte er nach Spuren der Verfolger, sah jedoch, dass sie auf halber Höhe der Erhebung wie erwartet dem vorwärtsgaloppierenden Teil der Gruppe auf den Fersen waren.
» Was nun?«, flüsterte der Junge ihm zu.
Wieder hielt Cord sich den Finger an die Lippen und forderte ihn auf, ihm zu folgen.
Behutsam bewegten sie sich durch den steigungs- und gefällereichen Wald weiter vom Weg fort. Nachdem Jung-Friedrich einmal begriffen hatte, worum es ging, verhielt er sich äußerst verständig, was Cord für ihn einnahm. Er brauchte seine volle Aufmerksamkeit, um den Himmelsrichtungen folgend die richtige Stelle zu finden, wo sie wieder auf die Straße nach Teupitz zurückstoßen konnten. Schließlich half ihm das Geschrei von kämpfenden Männern dabei und das Geklirr ihrer Waffen.
Gezielt ließ er die Stelle des Kampfes hinter sich und strebte weiter durch den Wald, bis er zwischen den Bäumen hindurch den frei daliegenden Weg sah.
» Sobald wir
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