Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
unrecht. Es war besser, sie ständig vor Augen zu haben, als nicht zu wissen, mit wem sie sich zusammenrotteten, um ihm zu schaden.
Dennoch strengte ihre Anwesenheit Wilkin an, schon allein, weil er mit niemandem sonst in des Kurfürsten näherem Umfeld einen so eisigen Umgangston pflegte wie mit ihnen.
Bei aller Wachsamkeit entging es ihm dennoch, als sein Bruder Ludwig sich des Verrats gegen ihren Lehnsherrn schuldig machte. Es war Cord, der die Sache rechtzeitig durchschaute und eingriff. Wilkins Mitwirkung daran war bloß zufällig.
Eigentlich war er auf der Suche nach Dieter gewesen. Seit der Nacht in Nürnberg, als Wilkin in der Dunkelheit mit dem alten Schwert gegen den Mordknecht gefochten hatte, war sein Misstrauen gegen den Jungen gewachsen. Als er Dieter nach dem Vorfall gefragt hatte, ob er zu fest geschlafen hätte, um den Eindringling zu bemerken, hatte der nur abfällig das Gesicht verzogen und mit den Schultern gezuckt, als würde ihn die Sache nichts angehen.
Solche Zeichen von Gleichgültigkeit oder gar Verschlagenheit an ihm hatten sich gemehrt, deshalb wurde Wilkin stets unruhig, wenn Dieter sich nicht an die üblichen Zeiten hielt. Er war also an jenem Abend vor zwei Jahren noch einmal in die Stallungen der Cadolzburg gegangen, in der Hoffnung, den inzwischen Fünfzehnjährigen dort bei den Pferden zu finden. Statt seines jungen Knappen hatte er Cord entdeckt. Dieser war dabei, einen Herold zusammenzuschlagen, der auf der Burg zu Gast gewesen war. Auf Wilkins Frage hin hielt sein Freund inne, ließ den Mann jedoch nicht los. Mit der freien Hand hob er ein mit einem Siegel versehenes Schriftstück vom Boden auf und warf es Wilkin vor die Füße.
» Da! Du kannst doch lesen. Das kommt mir gerade recht. Sieh mal nach, was drinsteht.«
» Bist du verrückt? Das ist Friedrichs Siegel. Ich werde es nicht öffnen.«
» Wenn ich richtig liege, dann ist das Siegel alles, was unser Fürst mit dem Brief zu tun hat. Los, zerbrich es.«
Wilkin hatte Cord bereits genug vertraut, um ihm zu glauben, und er hatte gut daran getan. Der Brief war an den polnischen König W ł adysław II . Jagiełło gerichtet und setzte diesen in Kenntnis, dass Kurfürst Friedrich von den Verlobungsplänen zwischen dessen Tochter Hedwig und seinem zweitgeborenen Sohn Friedrich Abstand nahm. Der Verfasser des Schreibens erwähnte als Grund für den Gesinnungswandel so ungeschickt eine für Friedrich angeblich lohnendere Allianz, wie der kluge Kurfürst es niemals getan hätte. Wilkin war sogleich sicher, dass Friedrich nicht der Urheber des Briefes war.
Als solchen verriet der blutig geprügelte Herold bald Wilkins Bruder Ludwig, der Zugang zu Friedrichs Schreibutensilien hatte. Und als Krönung benannte er Dieter als Laufburschen der Verschwörung.
Nach dieser Offenbarung schlug Cord den Mann bewusstlos und sah Wilkin lange Zeit schweigend in die Augen. Sie wussten beide, was es nach sich ziehen würde, wenn der Verrat öffentlich bekannt wurde. Ludwig wäre auf abschreckende Weise hingerichtet und Dieter zumindest entehrend bestraft worden. Beides zusammengenommen hätte das Ende für Wilkins Vorzugsstellung beim Kurfürsten bedeutet, auch wenn dieser ihm die Sache persönlich möglicherweise nicht vorgeworfen hätte. Cord hingegen hätte sich mit seinem geistesgegenwärtigen Eingreifen erhebliche Vorteile bei ihrem Herrn verschaffen können. Wilkin spürte, wie ihnen beiden dieselben Gedanken kamen, während sie sich ansahen.
Schließlich schüttelte Cord den Kopf, als beantwortete er sich selbst eine Frage. » Der Plan war lächerlich. Der Pole hätte das ohnehin nicht geglaubt«, sagte er und wies mit dem Kopf auf den regungslosen Herold. » Besser, wir schaffen ihn weg und machen keinen Wind um die Sache.«
» Was ist mit Dieter?«
» Versohl ihm den Arsch. Das ist dein Recht. Ich halte ihn dir fest. Wird es uns am Ende danken, der kleine Mistkäfer.«
In der Tat hatte Wilkin den damals dreizehnjährigen Dieter für seinen Anteil an dem geplanten Verrat gezüchtigt. Gedankt hatte der es ihm jedoch nicht. Eher schien es den Jungen endgültig zu seinem Feind gemacht zu haben, und Wilkin sehnte sich nach dem Tag, an dem er ihn endlich loswerden würde.
Noch war es nicht so weit. Der jüngste Auftrag, den der Kurfürst ihm und Cord erteilt hatte, schloss Dieter mit ein.
Kurz nach dem Vorfall mit dem Brief hatten Kurfürst Friedrich und Władysław II . Jagiełło sich auf eine Verlobung ihrer Kinder geeinigt, und
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