Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
einer verehrungswürdigen adligen Jungfrau auf: Schüchternheit, Anmut, liebliche Gesichtszüge und edlen Geschmack. Mochte es ihr an Demut oder Frömmigkeit vielleicht auch ein wenig mangeln, so war es ihr doch gelungen, etwas in ihm zu berühren. Es war bedauerlich, dass ihr Onkel sich so schnell gegen ihn gestellt hatte, sonst hätte er sie wohl noch ein- oder zweimal sprechen können. Sie hatte ihm nicht so heftige Ablehnung entgegengebracht, wie er erwartet hatte.
Eine Weile nachdem auch Hedwigs Onkel den Silberzweig an den neuen Markgrafen zurückgegeben hatte, entstand am hinteren Rand des Baldachins, unter dem sie sich aufhielten, eine leichte Unruhe. Wilkin entfernte sich unauffällig von seinem Platz an Jung-Friedrichs Seite und fand im Zentrum der Unruhe Cord vor, der von den für diesen Anlass als Ehrenwache ausgewählten Söhnen des höheren Adels nicht durchgelassen wurde. Mit sichtlicher Erleichterung winkte sein Freund ihn heran.
Es musste sich um eine dringende Angelegenheit handeln, denn sonst hätte Cord nie diesen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um ihn aufzusuchen. Ahnungsvoll ließ Wilkin sich von ihm nah heranziehen, sodass Cord ihm unhörbar für die Umstehenden ins Ohr sprechen konnte. » Schlechte Neuigkeiten. Ich habe deinen Bruder Reinhardt gesehen und könnte wetten, dass er es ist, den ich bei dem Überfall im Gesicht verletzt habe. Er steckte mit Gerhardt von Schwarzburg zusammen, als ich ihn sah. Mach dich auf das Schlimmste gefasst. Spätestens wenn Friedrich heute Abend den Gefangenen befragt, wird die Sache auffliegen. Trotzdem muss ich dich um einen Gefallen bitten. Von Schwarzburg und deine Brüder sind eine Gefahr für Hedwig von Quitzow und ihre Zofe. Ich kann dir jetzt nicht erklären, warum. Aber mir ist mehr als unwohl, wenn ich daran denke, dass ihr Onkel nachher in die Kirche gehen und sie ohne echten Schutz lassen wird. Und ich soll am Seiteneingang der Kirche bleiben. Kannst du vielleicht die Kurfürstin ersuchen, dass sie die Frauen so lange zu sich einlädt?«
Wilkin war kurzfristig sprachlos, wusste aber, dass er unabhängig davon, was er gehört hatte, schnellstens an seinen Platz zurückkehren musste. Die jüngste Dummheit seiner Brüder hatte eine Reichweite, die er so rasch nicht ermessen konnte. » Blutiger Jesus«, murmelte er.
» Wirst du es tun? Ich bitte dich. Über den Rest sprechen wir später.«
Cord schien es ebenfalls eilig zu haben, daher stimmte Wilkin nur stumm zu. Sein Freund schlug ihm mitfühlend auf die Schulter, und sie trennten sich hastig.
» War das Cord?«, flüsterte Jung-Friedrich, als er wieder Stellung neben dessen Stuhl bezogen hatte. Wilkin nickte kurz, legte dann jedoch den Finger auf die Lippen, um jede weitere Frage zu unterbinden.
Er hatte den Tag so lange näherkommen sehen, an dem seine Brüder ihren entscheidenden Fehler machen würden, und wusste doch noch immer nicht, welche Auswirkungen das für ihn haben würde. Immer in der Hoffnung, dass die persönliche Wertschätzung, die der Kurfürst für ihn hegte, gegen den Verrat seiner Familie bestehen konnte, hatte er ihm unbeirrt treu gedient. Doch es war schwer vorstellbar, dass Friedrich den Bruder eines Mannes, der versucht hatte, seinen Sohn zu ermorden, als Vertrauten und Hauptmann seiner Leibwache behielt. Selbst wenn Friedrich ihm sein Vertrauen nicht entzöge, wäre das misstrauische und spöttische Geraune, das es um die Angelegenheit geben würde, ihm vermutlich lästig.
Wilkin musste sich also darauf gefasst machen, dass sein Leben sich in Kürze auf eine Weise verändern würde, die er nicht lenken konnte. Ein Gefühl, das er hasste und dem er lieber zuvorkommen sollte, indem er von sich aus um seinen Abschied bat. Ohnehin durfte er an den Aufruhr gar nicht denken, der losbrechen würde, wenn mindestens Reinhardt öffentlich als Mittäter des Überfalls entlarvt wurde. Es bestand die Gefahr, dass er sich übergab, wenn er sich den beschämenden Prozess ausmalte, der geführt werden musste. Lieber hätte er in einer abgeschiedenen Wüste im fernen Orient gedurstet, als diese hochpeinliche Sache miterleben zu müssen. Er würde für lange Zeit niemandem mehr in die Augen sehen können.
So eifrig er auch von Kindheit an geübt hatte, sich nicht als Teil seiner Familie zu fühlen, gab es dafür Grenzen. Um seinen Bruder tat es ihm nicht leid, doch einen Rest Ehre für den Namen, den er trug, hätte er gern gewahrt gesehen.
Ganz in seine unangenehmen Gedanken
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