Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Kind, wer könnte dir den Zorn auf diesen Verräter nicht nachfühlen? Hätte ich gestern schon gewusst, was ich heute weiß… vielleicht wäre ich von der Tribüne gestiegen und hätte dich gebeten, mich auch einmal schießen zu lassen.«
Die anwesende Gesellschaft lachte laut über ihren gnädigen Scherz, und somit war Hedwig wieder in Ehren aufgenommen. Die Kluft, die sich zwischen ihr und den anderen Edelfrauen aufgetan hatte, konnte dies allerdings nicht überbrücken. Ebenfalls ungeklärt blieb die Frage, wie Gerhardt von Schwarzburg auf Hedwigs Beleidigung reagiert hatte oder noch reagieren würde. Er wurde nicht erwähnt, und sie wagte nicht, sich nach ihm zu erkundigen. Auch Cord hatte ihr nichts über ihn sagen können.
Ihr Besuch bei der Kurfürstin währte dieses Mal nicht lange, denn bald breitete sich unter den anwesenden Frauen und wenigen Herren Aufbruchsstimmung aus. Der neue Markgraf hatte zu einer kleinen abendlichen Jagd geladen, um die von den langen Zeremonien ermatteten Gemüter aufzumuntern.
Hedwig hätte sich der Jagdgesellschaft von sich aus nicht angeschlossen, doch die Kurfürstin ließ ihr auch hierin keine Wahl. » Du reitest natürlich mit, Kind. Fürchten musst du dich nicht, denn dein Wilkin hat sich schon ganz darauf eingestellt, unterwegs nicht von deiner Seite zu weichen. Und dass dir das Jagen liegt, hat dein Onkel meinem Gatten längst verraten. Du kannst dich also nicht herausreden. Übrigens tust du nicht nur dir, sondern auch Wilkin einen Gefallen, wenn du gerade heute seine und unsere Gesellschaft nicht scheust.« Für ihren letzten Satz beugte sie sich verschwörerisch zu Hedwigs Ohr und sprach so leise, dass die Umstehenden sie nicht verstanden.
Nachdem Hedwig mit der widerwilligen Erlaubnis ihres inzwischen stark betrunkenen Onkels zu den anderen Jagdgästen gestoßen war, stellte sie schnell fest, dass Hüx sie vor ihrem Aufbruch zu Recht gewarnt hatte: Tiuvel, der seit drei Tagen stand und sich langweilte, konnte beim besten Willen nicht so langsam gehen wie die lammfrommen Zelter der anderen Frauen. Sie war froh, als Wilkin sich zu ihr gesellte und ihr damit ermöglichte, der Frauengruppe voranzureiten.
Zu ihrem Glück beherrschte sie ihr Ross mittlerweile so gut, dass sie es von schlimmeren Ausbrüchen abhalten konnte. Sie spürte, wie gern Tiuvel die weit vor ihnen reitenden Jäger eingeholt hätte, um in vorderster Reihe zu galoppieren, und sie konnte es ihm nachfühlen. Sie beide hätten jeden Hirsch zur Strecke bringen können, das wusste sie aus Erfahrung.
Doch darum ging es an diesem Tag nicht, daher zügelte sie ihren Schwarzen und achtete darauf, sich Wilkin sichtbar freundlich zu widmen. Er wirkte rührend verlegen, doch glücklich über ihre Aufmerksamkeit. Bei Einbruch der Dunkelheit brachte er sie zu Pferd zurück zum Zelt ihres Onkels. Durch die warme Luft der windstillen Nacht drang fröhliche Musik zu ihnen, die Gaukler bei ihren Kunststücken begleitete und Menschen zum Tanz einlud. Die Klänge ließen Hedwig wehmütig an Adams schöne Stimme und seine lustigen und gefühlvollen Lieder zurückdenken. Irina hatte schon den Wunsch geäußert, die angereisten Spielleute zu treffen, um Erkundigungen nach ihrer Familie einzuholen. In der Aufregung der vergangenen Tage war das Vorhaben in Vergessenheit geraten.
Wilkin half Hedwig abzusteigen, während Hüx, der sie in Empfang genommen hatte, beide Tiere hielt. Wilkin benahm sich noch immer schweigsamer als bei ihrem vorherigen Treffen, was Hedwig ihm nicht verdenken konnte. Sie wusste selbst nicht, wie sie die ungeheuerliche Angelegenheit ihrer angeblich schon beschlossenen Heirat hätte zur Sprache bringen sollen, obwohl sie viel darüber nachgedacht hatte. Nachdem sich ihre anfängliche Verblüfftheit gelegt hatte, war sie zu der Überzeugung gekommen, dass es eine folgerichtige Fügung des Schicksals war, wenn sie Wilkin heiratete. Sie würde sich nicht dagegen wehren, zumal seine neue Art, sie zuvorkommend, sanft und voller Achtung zu behandeln, ihr guttat und ihr ein Leben mit ihm vorstellbar erscheinen ließ.
» Du hast mir mein Leid an diesem Tag gelindert. Ich danke dir dafür«, sagte er, als er sich zum Abschied verbeugte.
Sie lächelte. » Es machte mich glücklich, wenn mir das gelungen wäre, aber ich glaube, ich hatte den größeren Nutzen von deiner Gesellschaft.«
Forschend musterte er ihr Gesicht, als überlegte er, ob sie es ernst meinte. » Bedeutet das, ich darf darauf hoffen,
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