"Die Bombe is' eh im Koffer"
hätte es auch geändert? Sie können ja gerne selbst mal in Ihrem Haushalt nachsehen, welche Flüssigkeiten in Behältern bis 100 Millilitern aufbewahrt werden. Wenn Sie nicht zufällig zu den Sammlern von Duftpröbchen gehören, werden Sie ganz schön lange suchen. Bei den Getränken gibt’s da so gut wie nichts, abgesehen von den kleinen Schnapsflaschen an der Supermarktkasse. Wer richtigen Durst hat, will schließlich keine 100 Milliliter von irgendwas, das sind ja gerade mal fünf Schnapsgläser. Und Duschbäder, Shampoos, Bodylotions, Hautcremes, Zahnpasta, das alles ist meistens in größeren Behältern. 125 Milliliter zum Beispiel, um mal eine besonders ärgerliche Größe zu nennen, denn das ist nicht viel mehr, aber trotzdem zu viel, und wir mussten gnadenlos sein. Die Passagiere haben uns angesehen, als hätten wir nicht mehr alle Tassen im Schrank. Und wir haben ihre Blicke möglichst seriös erwidert, ihre Taschen gefilzt und Dinge weggeschmissen ohne Ende. In diesen Tagen haben wir vermutlich ein mehrstelliges Millionenvermögen vernichtet, ungelogen.
Denn die Leute kaufen am Flughafen gerne ein. Am Flughafen, haben sie mal gelernt, ist alles billig. Also kaufen sie, und sie kaufen viel. Parfüms in Fünfer-Gebinden, Luxusdüfte aller Sorten, in Sondergrößen, denn wer viel kauft, spart auch viel. Und wir sammelten alles ein und entsorgten es. Fünf Tonnen wurden pro Tag weggeschmissen, die Mülleimer waren unablässig derart überfüllt, dass die Putzkolonnen kaum mit dem Ausleeren hinterherkamen. Und bei uns schlug alles auf. Prachtvolle Pralinenpackungen, Whisky aller namhaften Sorten, Edelbrände, Sondereditionen großer Spirituosen. Ich werde nie den stolzen Ausdruck auf dem Gesicht des Herrn vergessen, der glücklich seine Tüte mit einer Flasche Remy Martin Louis XIII . auf unser Tischchen stellte. In der echten Baccarat-Karaffe, ein Verschnitt von Grande Champagne Cognacs, in ganz Deutschland gibt es pro Jahr nur tausend von den Dingern zu kaufen, und am Frankfurter Flughafen kostet eine 0,7-Liter-Flasche 1160 Euro. Das Ding landete bei uns. Jim Beam, Jack Matthias’s, Chivas Regal, Courvoisier, Hennessy, Roederer, Moët & Chandon, hinter unseren Tischchen sah es aus wie in der Bar vom Münchner Vier Jahreszeiten. Mit der Ausnahme, dass im Vier Jahreszeiten vermutlich nicht so viel Nivea-Duschbäder zwischen den Flaschen herumstehen.
Anfangs haben wir da noch Unterschiede gemacht. Wir sind nicht so erzogen worden, dass man alles wegschmeißt, und selbst wenn, tut es einem doch bei einem 170-Euro-Duft mehr weh als bei einem 2,99-Shampoo. Also feuerten wir manches nicht einfach in die Mülltonne, sondern stellten es respektvoll auf den Regalboden unterhalb des Nachschautischs. Aber die Menge war einfach irrsinnig, letztlich sammelte es sich dann doch in den Tonnen, die die Putzkolonnen wegkarrten wie die Wahnsinnigen. Und es passierte, was passieren musste.
Wer bei den Putzkolonnen arbeitet, verdient erbärmlich, und das ist noch beschönigt. Fünf, sechs Euro Stundenlohn, natürlich brutto, damals jedenfalls, für einen schweren, teilweise ekelhaften Job, den die neue Regel nicht unbedingt schöner machte. Es gab ja nicht jeder seinen 100-Euro-Cognac mit Freuden aus der Hand, da waren einige dabei, die versuchten, die 100-Milliliter-Regel mittels des einzigen Behälters zu umgehen, den wir nicht beschlagnahmen konnten: ihres Magens. Und nicht jeder Magen verträgt zu jeder Zeit klaglos eine halbe Flasche Schnaps.
Die Leute, die das wegwischen mussten, waren und sind arm, nur schlecht oder gar nicht ausgebildet. Sie stammen aus afrikanischen oder fernöstlichen Ländern oder überhaupt aus Gegenden, in denen man normalerweise nur als Schiffbrüchiger landet. Es waren die Menschen, die üblicherweise in der Hierarchie des Flughafens ganz unten stehen, und ebendiese Menschen wurden nun mit Tonnen und Abertonnen von sündteuren Kosmetika überschüttet, von Spirituosen ohne Ende, Eaux de Toilette, Eaux de Parfum der exklusivsten Hersteller. Und die Folge davon war natürlich nicht, dass sie ständig besoffen waren und geschminkt wie Lindsay Lohan. Sondern dass es keine Woche dauerte, bis in den Räumen des Putzpersonals regelrechte Verkaufsstände entstanden waren.
Es gab praktisch nichts, was es dort nicht gab. Obwohl: Es gab von allem nur das Beste, für einen 8x4-Deoroller wäre der Platz zu schade gewesen. Mugler, Armani, Chanel, Givenchy, Gucci, das waren die gängigen Angebote, und die
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