"Die Bombe is' eh im Koffer"
Konkurrenz sorgte zusammen mit dem immensen Nachschub für verbraucherfreundliche Preise. Es war sozusagen die praktizierte Umverteilung des trink-, sprüh- und cremebaren Reichtums von oben nach unten, es war, als hätte die SPD zusammen mit der Linkspartei in den Katakomben des Flughafens eine Parfümerie mit angeschlossener Spirituosenabteilung eröffnet. Es war nicht richtig legal, aber so ganz illegal war es auch nicht, schließlich hatten wir das ganze Zeug mehr oder weniger als Müll deklariert, da konnte es niemand den Müllmännern so recht übelnehmen, wenn sie in den Abfällen ein wenig nach Brauchbarem kramten. Und in diesem Fall erübrigte sich das Kramen.
Es dauerte etwa zwei Wochen, bis den Verantwortlichen aufging, dass infolge ihrer Vorschriften ständig enorme Mengen an hochwertigsten Konsumartikeln anfielen, und dass diese Mengen sich am Ende des Tages eben nicht einfach in Luft auflösten, sondern in einem willkommenen Zusatzeinkommen. Die Müllverkaufspraxis wurde explizit verboten, es wurden Taschenkontrollen eingeführt und in den ersten Tagen danach tatsächlich auch einige Missetäter erwischt und ruck, zuck entlassen. Seitdem werden die beschlagnahmten Gegenstände gesammelt und wohltätigen oder gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt. Die Tafeln rund um Frankfurt freuen sich regelmäßig über große Fuhren von Senf oder Nutella, ungeöffnet, ladenneu. Mit Düften und Spirituosen werden wohltätige Flohmärkte oder Tombolas bei Vereinen organisiert. Die Regelungen bei der Handgepäckkontrolle hingegen sind noch immer die gleichen. Und genauso unsinnig wie zuvor. Denn tatsächlich ist diese 100-Milliliter-Praxis nichts als ein Teil der großen Showbühne.
Ich will hier keine Angst machen und niemanden auf dumme Ideen bringen, aber man muss kein Genie sein, um zu merken, dass man auch mit einigen 100-Milliliter-Portionen in der richtigen Mischung eine Menge bedrohlicher Sachen her- und anstellen kann. Wer ein Flugzeug sprengen will, braucht keine Bombe, die so groß ist wie ein Kühlschrank. Und wer mit dem Flugzeug selbst was anstellen will, auch nicht. Das Gefährlichste und für die Terroristen Reizvollste, was die Maschinen am 11. September 2001 an Bord hatten, das, was aus den Flugzeugen erst fliegende Bomben machte, hätte keine Handgepäckkontrolle der Welt beschlagnahmen können, weil es nämlich schon längst an Bord war: das Kerosin in den Tanks der Tragflächen. Nein, wer glaubt, dass Flüssigkeiten gefährlich sein können, der sollte sie komplett verbieten, anstelle sie in 100-Milliliter-Einheiten abzumessen.
Manche Aspekte der Kontrolle entlarvt auch der Laie sofort als komplett hirnrissig: So ist, weil es Sprengstoffe auch in Gasform gibt, pro Passagier nur ein Gasfeuerzeug erlaubt. Das hat einerseits zur Folge, dass wir immer einen großen Vorrat an Einwegfeuerzeugen haben. Es bedeutet aber auch, dass ein Familienvater mit Frau und drei Kindern und einem Sixpack Gasfeuerzeuge die Dinger vor unseren Augen auf alle Familienmitglieder verteilte, das letzte, sechste Gerät bei uns abgab, und nach der Kontrolle einfach alles wieder einsammelte, weil er ohnehin der einzige Raucher der Familie war. Kurz: Die Luftsicherheit dezentralisiert die Gefahrenquelle, der Fluggast zentralisiert sie hinterher wieder, erreicht worden ist gar nichts– aber alle haben den Eindruck, es würde irgendwas getan.
Ohnehin ist nichts leichter, als Sprengstoff in Zahnpastatuben zu stecken. Da guckt keiner rein, in unserem wunderschönen transparenten Beutelchen fällt das nicht weiter auf. Und ich bin auch nicht der Einzige, der das weiß. Die Terroristen der Roten Brigaden in Italien haben so ihren Sprengstoff versteckt, und der Spiegel hat das in Deutschland längst allen verraten, vor 30 Jahren schon, damals war Helmut Schmidt noch Bundeskanzler. 1980 warnte das Bundeskriminalamt schon vor der bedenkenlosen Verschreibung bestimmter Medikamente an Häftlinge: Mit dem Halsschmerzmittel » Mallebrin«, dem Herzmittel » Nitrolingual«, das Nitroglyzerin enthält, oder mit Kaliumpermanganat könne man schon ziemlich viel sprengen. Kaliumpermanganat ist nicht giftig, nicht schlimm und auch nicht so abwegig, wie man annehmen könnte: Es hilft ausgezeichnet in der Medizin und zur Desinfektion, beispielsweise gegen Fußpilz. Ich habe Kaliumpermanganat dennoch nie beschlagnahmt und wurde auch noch nie dazu aufgefordert.
Als Kinder haben wir aus Zucker, Kohlestaub und Düngemittel
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