Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)

Titel: Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
Vom Netzwerk:
Papst holte schon im Mai 1497 zu einem Schlag gegen die Sforza aus. Treffen sollte er Giovanni Sforza, den Herrn von Pesaro, Lucrezia Borgias Gatten, der nach vierjähriger Ehe mit der inzwischen siebzehnjährigen Papsttochter immer noch keine Nachkommen gezeugt hatte. Diese Kinderlosigkeit diente als Vorwand, um die Ehe wegen Impotenz für ungültig zu erklären. Nach den Männlichkeits-Idealen des italienischen Adels war das eine furchtbare Blamage. Sexuelles Versagen wurde mit Verweichlichung und Feminisierung gleichgesetzt. Für Giovanni Sforza war dieser Annullierungsgrund umso peinlicher, als er wie seine meisten Standesgenossen ein ausgesprochenes Macho-Image gepflegt und sich diverser unehelicher Sprösslinge gerühmt hatte. Nicht zuletzt ergab sich damit ein äußerst unvorteilhafter Kontrast zu den männlichen Borgia, die ihre Zeugungskraft in aller Öffentlichkeit vorwiesen. Das galt nicht nur für den rüstigen Pontifex maximus, sondern auch für seine drei Söhne: Sowohl Cesare als auch Giovanni und Jofré eilte früh der sorgsam ausgebaute Ruf ausgeprägter sexueller Leistungsfähigkeit voraus. In den daraus hervorgegangenen Nachkommen sah der Papst den Segen Gottes: Wen der Herr liebte, dem schenkte er Söhne! Das sagte er kurz darauf den spanischen Majestäten ins Gesicht, als diese ihm die üblichen Vorhaltungen moralischer und politischer Art machten. Von Isabellas und Ferdinands Nachkommen lebten zu diesem Zeitpunkt nur noch Töchter.

    Verletzlich, verführerisch und gefährlich, so sahen schon die Zeitgenossen Lucrezia Borgia; daher wollten sie in diesem Porträt einer schönen Unbekannten von Bartolemeo Veneto aus dem Jahr 1502 die Tochter des Papstes erkennen (Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut, Foto: akg-images).
    Alexanders Tochter Lucrezia war mit der Auflösung ihrer Ehe nicht einverstanden. Welche Gefühle sie für einen Gatten hegte, den sie sich nicht selbst ausgesucht hatte, ist unbekannt. Eine Ungültigkeitserklärung mit dieser blamablen Begründung aber musste auch sie kompromittieren. Zum Zeichen ihres Protestes siedelte Lucrezia Borgia in das vornehme römische Nonnenkloster San Sisto über. Mehr Widerstand war für eine Frau in der zugleich zölibatären und patriarchalischen Gesellschaft des päpstlichen Rom kaum möglich. Auf so viel Aufmüpfigkeit reagierte der erzürnte Vater mit Hausarrest und Redeverbot in der Öffentlichkeit. Doch muss ihm die Charakterstärke seiner Tochter auch imponiert haben. Lucrezias Ungnade war nicht von Dauer, im Gegenteil: Sie sollte an der Kurie noch eine bemerkenswerte Karriere machen.
    Wie Lucrezia ihren Vater und ihre Brüder bewertete, lässt sich nur aus vereinzelten Akten wie dem Auszug ins Kloster und aus ihrer späteren Lebensführung fern von Rom erschließen. Alle Indizien deuten darauf hin, dass ihr die stetig zunehmende Gewalt der Familie und die immer krasseren Normenübertretungen und Tabubrüche zuwider waren. Dass ausgerechnet Lucrezia Borgia für die Nachwelt zum Inbegriff der Femme fatale wurde, entbehrt also nicht der Ironie. Borgia blieb Borgia: Die Legendenbildung differenzierte nicht nach Personen und erst recht nicht nach Geschlechtern.
    Nieder mit den Sforza, alle Macht den Borgia: Nach dieser Devise plante Alexander VI. im Frühjahr 1497 den nächsten großen Coup. Am 7. Juni kündigte er den Kardinälen im Konsistorium an, dass er seinem Sohn Giovanni die Lehen Benevent, Terracina und Pontecorvo, allesamt päpstliche Enklaven im Königreich Neapel, übertragen werde. Damit vollendete der zweite Borgia-Papst, was sein Onkel geplant hatte. Die drei Orte und ihr Umland waren zwar für sich genommen nicht allzu bedeutend, doch war ihr symbolischer und strategischer Stellenwert als Einfalltore in Richtung Neapel dafür umso höher. Folgerichtig mussten die Kardinäle darin eine Absichtserklärung erkennen: Die Borgia beanspruchten nicht nur, die legitimen Nachfolger der aragonesischen Dynastie zu sein, sondern demonstrierten auch, dass sie frei über die Gebiete der Kirche verfügen konnten, ja dass sie sich als Herren der Kirche verstanden. Diese Verschleuderung kirchlicher Rechte empörte die Kardinäle der Opposition, die sich längst in die innere Emigration zurückgezogen hatten. Offenen Einspruch einzulegen, wagte nur einer von ihnen: Francesco Todeschini Piccolomini. Die Vergabe der süditalienischen Lehen an einen Nepoten schwäche die Rechte der Kirche irreparabel und sei, so Piccolomini, ein offener

Weitere Kostenlose Bücher