Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Verstoß gegen heilige Herrscherpflichten. Ein guter Papst habe die ihm auf Zeit übertragene Macht wie eine kostbare Mitgift zu schützen und zu mehren. Wer das Patrimonium Petri jedoch seiner eigenen Familie zukommen lasse, erweise sich des Amts als unwürdig. Das waren ebenso mutige wie folgenlose Worte.
9. Wer ermordete Giovanni Borgia?
Am 14. Juni 1497 eröffnete Alexander VI. seinem Rivalen Ascanio Maria Sforza, dass die Würfel gefallen seien: Die Ehe Giovanni Sforzas mit seiner Tochter Lucrezia sei nie vollzogen worden und daher ungültig. Welche Genugtuung diese Szene dem Borgia-Papst verschafft haben muss, der von seinem jetzt gedemütigten Gegenüber so viele Kränkungen und Zurücksetzungen erfahren hatte, lässt sich nur erahnen. Widerworte konnte sich Sforza zu diesem Zeitpunkt nicht erlauben, das dürfte den Genuss seines Gegners weiter gesteigert haben.
So viel Freude musste geteilt werden, am besten im Kreis der engsten Familie. So verabredeten sich der Papst, seine Lieblingskinder und deren Mutter Vannozza Cattanei am Abend desselben Tages zum Picknick im Grünen. Treffpunkt war ein Weinberg Vannozzas in der Nähe der Kirche San Martino ai Monti, wörtlich «in den Bergen». Dieses Gotteshaus lag im gleichnamigen römischen Stadtteil und damit weit außerhalb des bebauten Gebiets, zwar innerhalb der Stadtmauern, doch inmitten von Ruinen, Gärten und Olivenhainen. Nachts trauten sich die braven Römer und Römerinnen allenfalls bewaffnet in diese unheimlichen Gefilde der Räuber und Vagabunden. Die Borgia sahen jedoch keinen Grund zur Vorsicht: Wer sollte sich ihrer unaufhaltsam expandierenden Familienmacht schon entgegenstellen? Nach Einbruch der Dunkelheit, etwa eine Stunde vor Mitternacht, brachen Cesare und Giovanni Borgia nach dem Ende des Familientreffens gemeinsam auf ihren Maultieren in Richtung Vatikan auf. Doch dort kamen sie nicht gemeinsam an. In der Via del Pellegrino verabschiedete sich Giovanni von seinem Bruder: Er habe noch etwas Wichtiges vor. Was, sagte er zwar nicht, doch das konnte sich Cesare schließlich denken: Dem Herzog von Gandía stand offensichtlich der Sinn nach einem amourösen Abenteuer. Nach eigener Aussage mahnte der Ältere den Jüngeren eindringlich zur Vorsicht. Weil mit gehörten Ehemännern und wütenden Vätern nicht zu spaßen war? Oder witterte er andere, politisch verursachte Gefahren?
Wiederum nach Cesares Zeugnis ritt Giovanni nicht alleine seiner unbekannten Wege. Er wurde von einem vertrauten Diener begleitet. Auf seinem Maultier hinter ihm hatte außerdem ein Vermummter Platz genommen, den man seit drei Wochen ständig an seiner Seite sah. Handelte es sich um eine verkleidete Kupplerin? Kurz darauf entließ Giovanni seinen Diener. So berichtete es jedenfalls dieser Domestik, nachdem er sich, von Degenhieben übel zugerichtet, am nächsten Tag in den Vatikan schleppen konnte. Ein weiterer Zeuge wollte Giovanni zu vorgerückter Stunde bei der Kirche Santa Maria del Popolo, also im Norden des Stadtgebiets, gesehen haben. Doch diese Angabe ist genauso rätselhaft wie das etwas spätere Zeugnis eines Holzhändlers, der die Entsorgung einer Leiche bei der Kirche San Girolamo degli Schiavoni, beim Ripetta-Binnenhafen, beobachtet haben wollte.
Als Giovanni am Morgen des 15. Juni nicht im Vatikan erschien, glaubten alle an ein nächtliches Liebesabenteuer. Als er bis zum Abend unauffindbar blieb, kam Unruhe und schließlich Angst auf. Nach der Aussage des Holzhändlers konzentrierten sich die Nachforschungen am übernächsten Tag auf den Tiber, und das mit Erfolg. Nach wenigen Stunden zogen Fischer Giovannis Leiche aus dem Fluss, allerdings oberhalb von der Stelle, an der sie angeblich in den Fluss geworfen worden sein sollte. Seine Mörder hatten dem Sohn des Papstes die Kehle durchgeschnitten und die Brust mit acht Dolchstößen durchlöchert. Hier war jemand auf Nummer sicher gegangen. Oder war es eine Tat im Affekt? Ein Raubmord schied jedenfalls aus. Die Leiche war prächtig gekleidet, und in den Taschen fanden sich die dreißig Dukaten, die Giovanni für alle Fälle mit sich geführt hatte. Das war ein kleines Vermögen für gewöhnliche Kriminelle. Doch wenn diese nicht am Werke gewesen waren, wer dann?
Der Fall war so sensationell, dass die ausgefallensten Theorien kursierten. Von den zahlreichen Vermutungen kamen nach dem Urteil der öffentlichen Meinung jedoch nur wenige in die engere Wahl. Verdächtige Nummer eins waren im Lichte der
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