Die Boten des Todes
gab das Inserat auf. Es würde in derselben Zeitung erscheinen, in
der er unlängst die Heiratsannoncen mit so viel Aufmerksamkeit gelesen hatte.
Zwischen Bellinzona und Locarno, auf
dem letzten Abschnitt seiner Reise, stand ein junger Mann am Fenster des Zuges.
Der Zug fuhr langsam, es war ein schöner, sonnenheller Tag. Der junge Mann
überdachte, was ihn erwarten würde.
Er hätte die Stellung nicht unbedingt
anzunehmen brauchen. Aber das Inserat war ihm aufgefallen. Ronco war ein
angenehmer Ort, und die Bezahlung verhältnismäßig hoch. Man schien allerhand
von ihm zu erwarten dafür.
Der Zug fuhr ein und hielt mit sanftem
Ruck. Der junge Mann ergriff die zwei Koffer, die neben ihm im Gang standen. Er
sah sich beim Aussteigen mit schnellen Blicken um.
Niemand war da, den er kannte. Er ging
langsam vorwärts zum Ende des Bahnsteiges. In Höhe der Lokomotive stand eine
Dame. Der junge Mann hatte das Gefühl, daß sie ihn erwartete. Er verlangsamte
den Schritt, als er dicht vor ihr war. Die Dame sah ihm fragend entgegen. Sie
war zierlich, mit einem Spitzbubengesicht und großen Augen.
»Verzeihung, Madame«, sagte der junge
Mann, »darf ich fragen, ob Sie von Herrn van Noringen kommen?«
Die Dame lächelte. »Direkt von ihm. Ich
bin Ada van Noringen.«
»Oh.« Er setzte seine Koffer nieder.
»Bitte entschuldigen Sie tausendmal, gnädige Frau. Ich konnte nicht wissen, daß
Sie selbst...«
»Wir haben kein Personal«, sagte sie
fröhlich. »Sie sind unsere erste Errungenschaft. Mein Mann hatte zu tun. Sie
sind Herr La Verne?«
»Anastasius La Verne, gnädige Frau«,
sagte der junge Mann. »Aber Stasi genügt vollkommen — wenn Sie mich so nennen
wollen.«
»Kommen Sie, Stasi. Der Wagen steht
nicht weit weg.«
Herr La Verne ergriff die Koffer und
folgte seiner neuen Herrin. Die Sache ließ sich freundlich an. Der Wagen stand
wirklich nicht weit weg. Ein Sportcabriolet, beige mit roten Polstern. Die
Koffer fanden gerade Platz auf den Notsitzen.
»Soll ich fahren, gnädige Frau?«
»Das wollen wir gar nicht erst
einreißen lassen«, sagte Frau van Noringen munter. »Sie fahren meinen Mann. Das
hier ist meiner. Mit dem will ich selbst verunglücken.«
»Hoffentlich nicht«, sagte Stasi
erschrocken. Er wartete, bis Frau Ada saß, dann nahm er Platz. Der Wagen schoß
vorwärts.
Stasi stützte sich am Armaturenbrett.
»Wie kommen Sie zu diesem Namen?«
»Hugenotten«, erwiderte Stasi. »Sie
wollten sich nicht rösten lassen und verließen den lieben Gott in Frankreich.«
»Ah! Sind Sie Franzose?«
»Nicht mehr, gnädige Frau. Die
Jahrhunderte haben mich zum Germanen gemacht.«
»Wie schrecklich. Hat sich Ihr
Französisch wenigstens durch die Jahrhunderte gehalten?«
»Jawohl.«
»Sehr gut. Was sprechen Sie noch?«
»Englisch, Italienisch, gnädige Frau.«
»Aha. Wie alt sind Sie?«
»Neunundzwanzig.«
»Neunundzwanzig? Sie sehen jünger aus!«
»Ich bedaure, gnädige Frau, daß ich
dieses Kompliment nicht als erster machen durfte.«
»Sie wissen ja gar nicht, wie alt ich
bin!«
»Sie sehen trotzdem jünger aus,
Madame.«
Frau Ada umfuhr einen Hund. Herr La
Verne flog gegen die rechte Tür und lächelte schuldbewußt.
»Und woher kommt Anastasius?«
»Mein Vater ist ein frommer Mann«,
antwortete Stasi. »Trotz der Schwierigkeiten in der Bartholomäusnacht. Er hatte
eine Schwäche für kirchliche Vornamen. Er ist ein netter Herr, aber Anastasius
habe ich ihm nie verziehen.«
»Er lebt noch? Was ist er?«
»Er war Beamter, gnädige Frau. Er hat
der Pensionierung entgegengeschlafen. Er hat’s geschafft.«
»Wunderbar. Und Sie. Sie müssen
verstehen, ich will schließlich wissen, wofür mein Mann sein gutes Geld
ausgibt.«
»Natürlich, Madame.« Anastasius trat
auf eine unsichtbare Bremse und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete,
war der Baum vorbei. »Ich war auf einer Dolmetscherschule. Dann habe ich ein
paar Semester Volkswirtschaft studiert. Aber ich gestehe, ich tat nichts und
lernte noch weniger. Was ich wirklich brauchte, habe ich erst in meinen
Stellungen gelernt.«
»Man merkt es. Was für Stellungen?«
Herr La Verne schien leicht verlegen.
»Verschiedene, gnädige Frau. Chauffeur, Autoschlosser. Ich liebe Autos. Dann war
ich in einem Reisebüro — ›Erleben Sie mit uns Griechenland‹ — dreihundertachtundsiebzig
Mark, inklusive Akropolis und so. Dann Auslandskorrespondent...«
»Es geht aufwärts.«
»Gottlob, gnädige Frau. Die letzten
zwei Jahre war ich
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