Die Botin des Koenigs reiter2
pergamentdünne Gestalten bewegten sich auf der Kuppe, fuchtelten mit den Schwertern und legten Pfeile auf. Es gab sogar Pferde. Ein besonders großer Schemen stellte mit Lils Stimme derart obszöne Vermutungen über Varadgrims Mutter an, dass die echte Lil die Zehen in den Stiefeln bog.
Penswert grinste stolz, salutierte und trabte auf den Westrand der Kuppe zu, wo er hinter den lodernden Flammen des Scheiterhaufens verschwand.
Lil wandte sich wieder der Erscheinung zu und sagte: »Ich habe keine Zeit für dich.«
Karigan war müde. Sie war müde von der Zeitreise. Müde, weil sie den Hügel hinaufgeklettert war. Müde, weil man sie zwang, an einem Ort und in einer Zeit zu existieren, die nicht hier und nicht dort war. Und sie war es müde, immer wieder zu versuchen, mit Lil Ambrioth zu kommunizieren, und wenn es schließlich funktionierte, vom Ersten Reiter als unwichtig abgetan zu werden.
Es war eine schreckliche Nacht gewesen. Ihr war übel geworden, nachdem sie das Schlachtfeld mit all den Leichen überquert hatte. Von dem Scheiterhaufen und dem ätzenden Gestank brennenden Menschenfleischs wurde es noch schlimmer. Sie hätte sich am liebsten einfach hingesetzt und geweint.
Wie konnten Lil und ihre Reiter das aushalten? Waren sie
einfach daran gewöhnt? Karigan dankte dem Himmel, dass sie in friedlicheren Zeiten lebte. Ansonsten wäre das hier ihr Leben gewesen – Schlachten und das Verbrennen gefallener Kameraden.
Als sie nun dem Ersten Reiter auf der Kuppe des Wächterhügels gegenüberstand, begriff sie, wieso die Legenden über Lils Heldentaten immer noch erzählt wurden. Hier war eine Anführerin mit dem Verstand, einer Falle mit einer Gegenfalle zu begegnen und den besten Freund von Mornhavon dem Schwarzen mitzunehmen. Hier war eine, die ihre Reiter auch in der Trauer anführen konnte. Und hier war eine Anführerin, die Varadgrim und seine Leute ablenken würde, sodass ihre Reiter sicher entkommen konnten.
Karigan warf einen Blick über den Hügel auf die johlenden und brüllenden Schemen – ein weiteres Wunder unter so vielen – und nickte zufrieden. Sie berührte ihre Brosche, um zu verblassen.
Eine Kraft packte Karigan und zwang sie mit solcher Gewalt in den Körper von Lil Ambrioth, dass sie nichts dagegen tun konnte. Lils Zorn über das Eindringen knisterte in ihr wie zuckende Blitze.
Karigan konnte die Zügel des Pferdes in Lils Händen spüren, als hielte sie sie selbst. Lils Herz- und Pulsschlag wurden zu ihrem eigenen.
»Verschwinde!«
Karigan hörte es sowohl durch Lils Ohren als auch in ihrem Geist.
Das würde ich ja gerne, antwortete sie. Ich denke, es liegt daran, dass unsere Broschen miteinander verbunden sind. »Verbunden?«
Wir tragen dieselbe Brosche. Es schien absurd, ihr das Gleiche zu sagen, was Lil einmal zu Karigan gesagt hatte.
»Ich habe dir nie so etwas gesagt«, erwiderte Lil. »Ich habe dich nie zuvor gesehen. Und jetzt verschwinde! Ich muss gehen.«
Ich kann nicht. Tu, was du tun musst. Ich werde mich nicht einmischen.
»Das hast du schon zur Genüge getan«, knurrte Lil. »Ich traue dir nicht.«
Ich bin ein Reiter. Ich werde mich nicht einmischen.
Lil brummte und stieg aufs Pferd. Offenbar hatte sie das Unvermeidliche akzeptiert und trieb ihr Pferd nun zwischen den Obszönitäten schreienden Schemen hindurch.
So wie Lil Karigans Gedanken wahrnahm, erfuhr Karigan auch alles, was Lil jetzt durch den Kopf ging: Waren ihre Reiter davongekommen? Wo war Varadgrim? War er inzwischen mächtig genug geworden, sie selbst dann entdecken zu können, wenn sie ihre Gabe einsetzte?
Lils Sinne waren bis zum Äußersten angestrengt, als sie ihr Pferd im Schritt zum Südhang lenkte. Sie brauchte sich nicht unbedingt zu beeilen, wenn sie so gut wie unsichtbar war, und im Schritt würde ihr Pferd – das ebenfalls unter dem Bann ihrer Gabe stand – weniger Lärm machen, der sie in Gefahr brachte, entdeckt zu werden. Sie spähte in den Schatten, schnupperte und suchte nach einer Spur von Varadgrim und seinen Leuten.
Karigan war verblüfft, wie problemlos Lil mit ihrer Fähigkeit umging. Es gab keine Kopfschmerzen, keinen Grauschleier über ihrem Blick. Sie verspürte eine gewisse Übelkeit, aber das hatte nichts damit zu tun, dass sie ihre Magie einsetzte. Überrascht spürte Karigan ein weiteres Leben in Lil. Der Erste Reiter war schwanger.
Lil warf einen Blick über die Schulter, als ihr Pferd den Südhang hinunterstieg. Der Scheiterhaufen loderte weiter,
und die
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