Die Botin des Koenigs reiter2
gewesen und nicht der weitläufige Komplex, den Karigan kannte, aber da die Bewohnerzahl der Burg sich in Friedenszeiten senkte, lebten und arbeiteten die meisten in den neueren, großzügigeren Bereichen, und die ältesten Flügel standen häufig leer.
Karigan war schon einmal in einigen dieser verlassenen Flure gewesen. Damals hatte Fastion, die Waffe, sie geführt. Die Waffen, behauptete er, waren die Einzigen, die sich in diesen alten Teilen der Burg wirklich auskannten.
Sie seufzte bei der Erinnerung daran, wie sie im Licht einer einzelnen Kerze durch leere Flure gegangen waren, wobei sie jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Es war ein beunruhigendes Erlebnis gewesen, und sie hatte nicht vor, sich tiefer in diese dunklen, uralten Gänge zu wagen.
Sie drehte sich um, um zurückzukehren, aber dann sah sie aus dem Augenwinkel an einer Stelle, wo ein wenig Licht in den dunklen Flur fiel, eine Gestalt. Ihre Brosche regte sich …
Sie nahm das Wirbeln grünen Tuchs wahr, als die Gestalt an ihr vorbeieilte und sich in die vollkommene Dunkelheit des Flurs zurückzog. Die Geräusche von Stiefeln auf Stein hörten sich seltsam an, als wären sie durch die Entfernung langer Zeit von ihr getrennt.
»Warte!«
Warte, warte, warte …
Ihr Ruf trug weit ins Dunkel hinein, zahllose Flure entlang, in denen vielleicht schon seit langer Zeit keine lebendigen
Stimmen mehr erklungen waren. Die Schritte verhallten, und sie erhielt keine Antwort. Obwohl ihr schon der Gedanke, auch nur ihre Stimme in diese Dunkelheit zu schicken, nicht behagte, versuchte sie es noch einmal.
»Hallo? Hallo?«
Und dann zur Antwort nur Stille.
Wer würde einen vollkommen dunklen Flur entlangrennen? Ein Geist?
Sie schluckte, denn sie wollte es nicht wirklich wissen. Sie hatte schon einmal mit Geistern zu tun gehabt und hoffte, inzwischen frei von ihnen zu sein. Sie eilte schaudernd den dunklen Flur entlang und blieb erst stehen, als sie wieder in einen beleuchteten Gang kam. Wahrscheinlich hatte sie sich das alles nur eingebildet.
Sie verfluchte ihre Neugier, steckte die Papiere in die Schlinge und nahm eine Lampe aus einer Nische in der Nähe. Schatten zuckten, als sie in den verlassenen Flur zurückkehrte. Licht glitzerte auf einer alten Rüstung ein Stück weit entfernt.
Sie betrachtete den Boden. Eine Staubschicht lag auf den Steinfliesen – nicht zu dick, als würden die Luftzüge, die die belebteren Bereiche der Burg durchstreiften, ihren Weg auch hierher finden, aber dick genug, dass Karigan deutliche Fußspuren hinterließ. Ihre eigenen reichten ein kurzes Stück in den Flur hinein, umgeben von den winzigen Fußspuren von Mäusen. Und dann gab es noch eine zweite Spur, ihrer eigenen nicht unähnlich, klar und deutlich im Lampenlicht zu erkennen, die tiefer ins Dunkel führte. Und da war noch mehr. Karigan kniete sich, stellte die Lampe hin, berührte den Boden. Wasserspritzer.
Ein nasses Gespenst?
Wer war an ihr vorbeigerannt? Warum hatte die Person sich nicht zu erkennen gegeben?
Und noch während sie die Fußspuren betrachtete, füllte Staub sie erneut, löschte sie. Die Wassertropfen verdunsteten. All das geschah, obwohl sich sonst nichts veränderte, kein Wind wehte und ihre eigenen Spuren deutlich und klar erkennbar blieben.
Mit laut klopfendem Herzen griff sie nach der Lampe und verließ den Flur. In dem verlassenen Gang wurde es wieder vollkommen dunkel.
Einbildung. Ich habe mir das alles nur eingebildet.
Aber eine Vorahnung, die ihr die Nackenhaare sträubte, wollte sich nicht mit dieser schlichten Erklärung in Einklang bringen lassen.
Das Archiv war ein großer Raum mit Gewölbedecke und Regalen, auf denen es von Büchern, Schriftrollen und Kästen voller Papier nur so wimmelte. Das Licht der Lampen drang nicht überallhin, und die Lampen selbst wirkten irgendwie klein und unbedeutend. Es gab hier keine Fenster, sondern nur Schießscharten in einer der Wände, und es hätte ebenso gut Nacht sein können. Ein dekoratives Fries versank im Schatten, und die gemeißelten Figuren, die bis zur Decke reichten, waren in Halbdunkel gehüllt.
An einem Schreibtisch saß ein Schreiber. Er war so in seine Arbeit versunken, dass er nicht gehört hatte, wie Karigan hereingekommen war.
»Entschuldigt«, sagte sie.
Der Schreiber stieß einen leisen Schrei aus und sprang von seinem Hocker auf, wobei er ihn umstieß, und das wiederum ließ einen Bücherstapel auf dem Tisch hinter ihm umkippen. Die Bücher fielen auf ein Fass mit
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