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Die Botschaft Der Novizin

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Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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wurde aus einem Glauben, der es zuließ, wenn jeder sich ein Stück davon abtrennte und für die alleinige Wahrheit hielt? Aus einem einzigen Gott wäre bald ein ganzer Himmel voller Götter geworden.
    Als sie auf den Canal Grande hinausfuhren, wurde sein Blick auf die Flotte der Gondeln und Traghetti, die Lastkähne, gelenkt, die den Kanal beinahe zu festem Land hätten werden lassen, wenn nicht ein beständiges Auf und Ab die Wasserbewegungen verraten hätte. Ein geschickter Kerl mochte dennoch von Boot zu Boot springend trockenen Fußes das andere Ufer erreichen. Unter Schreien und Fluchen kämpfte sich sein Gondoliere durch die Menge der Schiffe, und der Pater sah sich mehr als einmal bereits unter dem breiten Bug eines Lastkahns begraben, bis sie wieder in die winkeligen Kanäle des Sestiere St. Polo eintauchten und der Lärm der Hauptschlagader Venedigs verebbte. Es war, als flüsterte plötzlich alles ringsum, weil das ehrwürdige Alter der Serenissima Venedig allzu sehr Respekt einflößte. Nur das Läuten der Glocken, die zum Abendgebet riefen, drang bis zum Wasser hinunter.
    Wenig später klopfte er an die Tür des Sammlers, und wieder wartete er die kleine Ewigkeit, die es dauerte, bis er eingelassen wurde.
    »Ihr kommt spät«, begrüßte ihn der Alte mürrisch. »Ich hätte längst tot sein können.«
    »Seid zufrieden damit, dass ich überhaupt noch komme«, gab der Pater zurück und betrat unaufgefordert das Haus. Mittlerweile kannte er sich aus und ging voran, ohne auf den Alten zu achten. »Außerdem stehe ich schon eine ganze Weile vor Eurer Tür.«
    »In meinem Alter muss man sich Zeit nehmen!«, entschuldigte sich der Sammler, als er verspätet die Bibliothek betrat.
    Padre Antonio lief wieder durch die Stapel und sah sich um. Er sog den Geruch von Papier ein, roch die Ledereinbände und das Trockene der gekalkten Umschläge. Er betrachtete die einzelnen Schichten der Bände und fand, dass so mancher Stapel wiederum umgeschichtet worden war, als habe jemand darin gewühlt und nach etwas gesucht.
    »Es heißt, Alter verlangsamt zwar die Bewegungen«, versuchte Padre Antonio das Gespräch in Gang zu bringen, »erhöht jedoch den geistigen Glanz.«
    »Wohl gesprochen, Pater. Tatsächlich habe ich etwas für Euch, auch wenn es an Eurer Höflichkeit durchaus noch ungeschliffene Kanten und so manche falsche Farbe gibt.«
    »Oh, Ihr kennt Euch mit der Herstellung von Juwelen aus?« Der Alte blieb die Antwort schuldig und bedeutete ihm zu folgen. Bislang hatte Padre Antonio geglaubt, der Raum, in dem sie sich befanden, wäre die gesamte Bibliothek. Der Sammler führte ihn zu einer Tür, unter deren Sturz sich der Geistliche tief bücken musste. Dahinter eröffnete sich eine zweite Welt. Buchstäblich eine zweite, denn der Raum war vollgestopft mit Portolankarten – großformatigen, vielfarbigen See-und Landkarten mit eingezeichneten Liniennetzen zur Kursbestimmung. Padre Antonio pfiff anerkennend durch die Zähne.
    »Christoforo Colombo hätte sicher ein Vermögen dafür ausgegeben, wenn er dies hier hätte studieren dürfen«, kommentierte er.
    »Vertieft Euch nicht in Dinge, die das Pergament nicht wert sind, auf dem sie gezeichnet wurden«, brummte der Alte und deutete auf einen der vier Kartentische. »Das dort ist für Euch wirklich wichtig.«
    Padre Antonio trat an den Tisch heran und beugte sich über eine Karte. »Was ist das?«, entfuhr es ihm.
    »Ein Grundriss. Ein Häusergrundriss!« Der Alte begann zahnlückig zu grinsen, als er die Verblüffung des Paters bemerkte. »Dafür habt Ihr mich herbestellt?« Er nahm die Karte in die Hand und drehte und wendete sie. Der Plan stellte eine ihm unbekannte Bebauung dar. Er drehte das Blatt mehrmals um die eigene Achse. Aus keinem der Blickwinkel kam sie ihm bekannt vor.
    »Stellt Euch nicht an wie ein Weib!«, knurrte der Sammler. »Legt die Karte zurück.« Kaum lag die Karte wieder, deutete er mit spitzen Fingern darauf: »Hier die Hauptkirche, dort der Kreuzgang, hier hinten der Cimitero mit dem Ossuarium, dort die Kapelle, die Ihr hoffentlich längst entdeckt habt, dort ...« Weiter kam der Sammler nicht, denn der Pater unterbrach ihn mit einem Ausruf. »San Lorenzo! Das ist das Kloster San Lorenzo.«
    Der Gelehrte bedachte ihn mit einem spöttischen Seitenblick. »Es hat ein wenig gedauert, nicht? Das ist das Kloster, und zwar vor gut dreihundert Jahren.« Der Sammler kaute die Luft und sog seine Unterlippe ein und ließ sie hervorschnellen, bevor

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