Die Botschaft Der Novizin
sollte. Ein Geruch von Schweiß, Blut und Kot schwebte im Raum, obwohl die Laken frisch und die junge Mutter gesäubert waren.
»Wie kommst du darauf, dass es die erste Geburt ist?«, fragte Suor Anna erstaunt zurück.
Isabella öffnete den Mund und wollte etwas erwidern, doch sie beschloss, lieber nichts zu sagen als das Falsche.
»Es ist mein zweites Kind. Das erste ... «, Suor Anna stockte, »es ist kurz nach der Geburt gestorben. Die Nabelschnur hatte sich um den Hals gewickelt und ihm die Luft abgedrückt. Ganz blau ist es aus mir ausgetreten, blau und mehr dem Tode nahe als dem Leben.«
»Aber – Ihr seid doch eine Nonne!«, entfuhr es Isabella, die sich wegen ihrer unüberlegten Äußerung erschrocken die Hand auf den Mund legte.
»Und eine Frau!«, entgegnete Suor Anna. Sie lächelte über Isabellas hilflose Versuche, ihre Bestimmung und ihr Leben miteinander in Einklang zu bringen. »Mein Vater hat mich ins Kloster gesteckt. Ich war erst sieben und hatte damals kaumeine Ahnung davon, was es bedeuten würde. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, lebte in San Lorenzo und eine ältere Schwester von mir ebenfalls. Wir waren viel zusammen, wir haben gelacht, wir haben gebetet. Der Glaube, Isabella, war damals ein Spiel für mich und so tief, wie Kinder jedes Spiel ernsthaft betreiben. Erst als ich älter wurde, habe ich begriffen, dass das Dasein im Kloster ein Eingesperrtsein auf Lebenszeit bedeutet, dass es der Verzicht auf Ehe und Kinder ist, der hier gefordert wird. Aber ich wollte einen Mann, Kinder, eine Familie. Nicht die Gesellschaft von Chornonnen, sondern eine wirkliche, lebendige Familie um mich herum. Kinder zum Wickeln, Kinder, um sie an mich zu drücken, einen Mann für die stillen Stunden, zum Streiten und fürs Bett. Ich wollte nicht mehr und nicht weniger als ein ganz normales Leben führen!« Sie hatte sich so in Hitze geredet, dass das Kind unruhig wurde, und auch sie verzog schmerzhaft die Lippen. »Ich darf mich nicht aufregen, sonst blute ich wieder.« Sie deutete mit dem Kinn zwischen ihre Beine. »Aufregung verhindert die Heilung.«
Isabella hatte der Nonne aufmerksam zugehört. Schließlich nickte sie. »Auch ich will leben«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Anna. »Heute wäre ich beinahe getötet worden. Und ich weiß nicht, warum.«
Suor Anna ließ die Arme sinken, sodass ihrem Kind die Brustwarze aus dem Mund glitt. Sofort begann das Bündel zu maunzen und zu krähen. »Entschuldige, Kleines«, murmelte Suor Anna und legte es sich wieder an. »Das ist eine ungeheuerliche Behauptung«, sagte sie. »Wer wollte dich denn töten, Kind? Und wo?«
Isabella biss sich auf die Lippen. Sie sah zur Decke. Die Decke bestand nur aus groben Brettern, durch deren Ritzen man einen Blick in den Dachstuhl des Gebäudes werfen konnte. Im Winter würde sich von dort oben die Kälte herabsenken, wie ein Falke auf eine Maus niederstieß, lautlos und unbarmherzig.
Sie schaute zu Suor Anna hinüber, die mit ihrem Kind beschäftigt war. Jetzt erst wurde Isabella bewusst, dass sie noch nicht einmal nachgefragt hatte, wer der Vater ist. »Wie heißt es?«, fragte sie und deutete auf das Bündel in Suor Annas Armbeuge, das nur noch in großen Abständen nuckelte.
Anna sah ernst auf und blickte sie lange an. Dann huschte ein Lächeln über ihre blassen Wangen. »Ich will es Francesca nennen.«
Unsicher nickte Isabella. »Wie meine Tante!«
»Ja, wie deine Tante, Isabella. Ihr verdanke ich, dass ich ... dass das Kind ... nun, dass es lebt. Sie hat mir zugeredet, hat mir wieder Lebensmut gegeben in einer Zeit, als ich lieber sterben wollte, als erneut ein Kind zur Welt zu bringen, das vielleicht den ersten Tag nicht überlebt.«
Isabella wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Und dann begann sie zu erzählen, von ihrer Ankunft, von ihrer Entdeckung der Leiche, was Suor Anna ja bereits wusste. Doch ihr selbst fiel es leichter, die Geschichte von Beginn an zu erzählen. Als Erstes berichtete sie vom Brief ihrer Tante und ihren heimlichen Erkundungen im Nonnenchor. Von ihrer Vermutung bezüglich der Kapitelle, die sich nicht bestätigt hatte – und letztlich von ihrer Flucht vor der gespenstischen Gestalt. »Ich glaube«, schloss sie, »dass sowohl Tante Francesca als auch Suor Maria demselben Schatten begegnet sind. Nur hatten sie nicht das Glück, ihm zu entkommen.«
Suor Anna hatte mit wachsendem Staunen zugehört und während der Erzählung die kleine Francesca, die mittlerweile
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