Die Botschaft Der Novizin
mit. Allein ist es zu gefährlich.«
KAPITEL 34 »Ihr mögt über den Glauben regieren und dieses Kloster inspizieren, besorgt um die Einhaltung der Rituale. Dieses Kloster ist älter als Euer Glaube, und es weiß sich zu wehren, Pater. Es wird sich wehren, wenn Ihr es nicht in Ruhe lasst.« Padre Antonio ging der Satz Signora Artellas nicht mehr aus dem Kopf. Die Priorin hatte ihn angesehen, als müsse sie aus seinen Gesichtszügen seine Gedanken lesen. Dann hatte sie sich umgedreht und ihn stehen lassen, als hätte ihr kurzes Wortgefecht nicht stattgefunden.
»War das eine Drohung, Suor Artella?«, hatte er ihr nachgerufen.
Erst in einiger Entfernung hatte sie sich zu ihm umgedreht. Im Gewölbe des Ganges hatte sich die Antwort angehört, als käme sie aus den finstersten Tiefen der Lagune. »Es war keine Drohung, Pater, es war eine Prophezeiung. Das Kloster hat sich immer gewehrt – das Kloster, nicht die Nonnen ...«
Dann war nur noch das Knarren ihrer ledernen Schuhe zu hören gewesen, als eine Biegung des Ganges sie seinen Blicken entzog.
Als Spross einer der Dogenfamilien, das wusste sie sehr wohl, war Signora Artella unangreifbar für den Patriarchen und einen Nuntius aus Rom. Sie trug auch weiter ihre seidene Kleidung und Lederstiefel statt der Holzschuhe. Sie würde sich einen Kehricht darum scheren, ob sie gerügt wurde oder nicht.
Diese Gedanken trieben ihn durch die Gassen der Stadt. Diesmal ging er zu Fuß, weil er das Schaukeln der Gondeln nicht ertragen konnte. Doch die kurze Unaufmerksamkeit, die ihm sein Nachdenken beschert hatte, war ausreichend gewesen, dass er sich im Labyrinth der schmalen Gassen verirrt hatte.
Er fand sich in einer Gegend wieder, wo er noch nie gewesen war. Als er um eine Ecke bog und auf einem Campiello, einem der kleinen Plätze, landete, der keinerlei Kanal, sondern nur in der Mitte den Brunnenschacht einer Zisterne aufwies, blieb er unvermittelt stehen. Warum musste diese Stadt angelegt sein wie ein Irrgarten? Er lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand und beobachtete die Menschen. Eine Magd oder Sklavin schlüpfte aus einem der schmalen Häuser und lief in eine der Gässchen hinein. Andere kamen daraus hervor, als würden sie vom sich windenden Darm dieser Stadt hier ausgeschieden und tauchten wieder darin unter, ohne erkennbares Ziel oder sichtbare Notwendigkeit. Die vier Himmelsrichtungen der Zisterneneinfassung waren mit Löwen geschmückt, dem Wappentier der Republik. Kinder saßen auf den Löwenpfoten des Brunnens. Sie spielten die ewigen Kinderspiele: Murmeln die einen, Fangen die anderen. Spielerisches Geschrei und kindliches Gezänk hallten zwischen den Fassaden wider und verdrängten seine düsteren Gedanken.
Der Sammler hatte ihn zu sich bestellt und wartete gewiss schon auf ihn. Gerade hatte Padre Antonio sich dazu entschlossen, eines der Kinder, einen älteren Jungen, dazu zu verpflichten, ihm den Weg zu weisen, als aus der gegenüber liegenden Gasse die Magd wieder auftauchte, die vor kurzem dort hinein verschwunden war, diesmal mit einem tropfenden Flechtkorb, aus dem ein Fischschwanz lugte. Lächelnd stieß sich der Pater von der Wand ab und folgte dem Weg der Wassertropfen, die das Mädchen, das ihn misstrauisch beäugte, hinterließ. Wo man Fische verkaufte, gab es Wasser. Wo es Wasser gab, gab es Gondeln. Seufzend beschloss er, die Unbilden der Schifffahrt in Kauf zu nehmen, bevor er sich für immer in diesem Labyrinth verlor.
Die Anlegestelle war rasch gefunden, und der Gondoliere half ihm in das Gefährt. Padre Antonio legte sich zurück und überließ sich seinen Gedanken, nachdem er dem Bootsführer dasZiel genannt hatte, den Kanal hinter der Offizin Marosini. Während die Hauswände mit ihren abblätternden Verputzen und den vom schwappenden Wasser ausgehöhlten Häusersockeln an ihm vorüberzogen und ihn gemahnten, dass nichts Bestand hatte in dieser Welt, vergaß er die Wasserstraße, vergaß er das Schaukeln und versank in Überlegungen, die er längst hätte anstellen sollen.
Warum ließ er sich von diesem Büchernarren immer wieder ködern? Nichts von Bedeutung hatte der Alte ihm bislang an die Hand gegeben. Nur einen Wust an Spekulationen, die beinahe ebenso schlimm waren wie der Aberglaube, auf den er überall traf. Was hatte Signora Artella gesagt? Das Kloster würde sich wehren? Was für ein Satz! Und doch nichts als ein gerüttelt Maß an Einbildung.
Dagegen kämpfte er an. Dem hatten sein Herr und er sich verschrieben. Was
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