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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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angewiesen war, sie nicht allzu weit vom ursprünglichen Platz zu entfernen, weil sie zu schwer und zu unhandlich war. Deshalb glaubte sie zu wissen, wo das Buch versteckt worden war.
    Zwei Biegungen, den Gang entlang und sie war am Ziel. Der Flur lag menschenleer vor ihr. Nur das Holz atmete und knackte und bewies damit, dass es auch noch nach Jahrhunderten lebte und sich nicht jedem Tritt fügte.
    Das beinahe schwarze Holz des Schranks war ihr vertraut, schwere und in Jahrhunderten nachgedunkelte Eiche. Die Wäsche darin gehörte dem Konvent, nicht einer einzelnen Schwester, deshalb war er nicht verschlossen. Nur ein hölzerner Bügel hielt die Türen zu. Man musste ihn drehen. Isabella betrachtete sich den Holzverschluss genau. Zu viel hatte sie in den Büchern des Vaters, die dieser verlegte und vertrieb, von vergifteten Nadeln und tödlichen Mechanismen gelesen. Sosehr sie sich auch bemühte, sie sah nur einen Querriegel, mehr nicht. Sie drehte den ersten Bügel, stellte ihn senkrecht, kniete sich hin, stellte den zweiten Bügel senkrecht und öffnete eine der Türen. Ein Schwall abgestandener Luft entwich dem Ungetüm. Dunkles schweres Leinentuch lag dahinter, eng gepackt und gestapelt. Man sah dem Leinen das Alter an. Die unterenPartien waren eingegilbt, die oberen dagegen weiß gebleicht. Ein Chorbuch hatte darin keinen Platz.
    Die schwere Eichentür der anderen Seite ließ sich nicht öffnen. Isabella stieß einen Seufzer aus. Ihr blieb nur wenig Zeit. Warum konnte das Leben nicht einfach und geradlinig verlaufen, ohne die Haken und Ösen und Kanten, an denen man immerfort hängen blieb oder sich ständig stieß?
    Die Tür verfügte demnach über eine weitere, so nicht sichtbare Sperre. Isabella versuchte es zuerst mit Gewalt, doch sie brachte ihre Finger nicht in den Spalt zwischen Tür und Schrank. Dann erst untersuchte sie die Konstruktion. Ein Mittelsteg trennte die beiden Schrankteile. Sie fuhr diesen mit dem Finger behutsam entlang und entdeckte tatsächlich einen Metallknopf. Sie zog ihn heraus. Der untere Teil der Schranktür schnappte nach außen, als die Spannung wegfiel. Da die Tür nicht ganz aufschwang, musste sich ein ähnlicher Mechanismus im oberen Teil des Mittelsteges befinden. Tatsächlich spürte sie ihn auf, entfernte ihn – und die Tür schwenkte lautlos zur Seite.
    Die Neumenhandschrift lag im Mittelfach. Dieses war ansonsten leer. Isabellas Herz schlug wie rasend. Sie wusste, wenn sie jetzt das Buch aus dem Schrank herausnahm, würde sie es kaum im Handumdrehen wieder zurücklegen können, falls sie jemand überraschte. Sie würde es auf dem Gang liegen lassen müssen und wäre so auf frischer Tat ertappt.
    Dennoch wollte sie keine Zeit verlieren. Zwar waren die Nonnen und Conversas alle im Kapitelsaal, aber sie musste sich trotzdem beeilen. Entschlossen griff sie nach dem Folianten. Das schwere Buch setzte ihr Widerstand entgegen, als wolle es sich nicht von der Stelle bewegen. Mit aller Kraft zog sie daran. Bevor es aus der Lücke rutschte, drehte sie es so, wie es auf dem Chorständer stand. Dann lehnte sie sich, das Buch in Händen, mit Gewalt zurück. Das Buch glitt aus der Nische und krachte mit einem Laut zu Boden, der Tote aufgeweckt hätte.
    Erschrocken sah sich Isabella um. Immer noch herrschte Stilleringsum. Von ferne hörte sie den Choral der Nonnen, konnte aber nicht verstehen, was sie sangen. Nervös nestelte sie den Schlüssel von ihrem Hals und sperrte die Schließen auf. Die Deckplatte mit den Edelsteinen ließ sich nur mit Mühe anheben und aufschlagen. Sie wendete die Buchseiten um und suchte nach dem letzten Buchstaben, dem »I«. Dreimal tauchte er auf, dreimal fehlte dem Buchstaben der gemalte Edelstein. Isabella begann zu schwitzen. Das Wasser lief ihr nicht nur die Schläfen hinab und sammelte sich in den Mundwinkeln, auch unter ihrem Habit klebte das Unterkleid am Körper. Ihr Mund wurde so trocken, dass sie sich räuspern musste. Die großen Seiten ließen sich schwer umblättern, sodass sie nur langsam vorankam. Hoffentlich fand sie den letzten Buchstaben, bevor ... Schritte ließen sie aufhorchen. Holzschuhe klackten über die Terrazzoplatten des Ganges. Für den Bruchteil eines Augenblicks schwankte Isabella, ob sie aufhören oder weiterblättern sollte. Doch ihr wurde schlagartig bewusst, dass es ihre letzte Gelegenheit sein würde, die Initiale zu finden. Ohne sich stören zu lassen, blätterte sie weiter.
    »Was tut Ihr da? Mein Gott ... das ist ja ...

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