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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Buch zu und stand auf. Ihre Knie schmerzten, weil sie niedergekniet war, um das Buch durchzublättern. Jetzt brauchte sie Zeit, um nachzudenken, was zu tun war, Zeit und einen Ort, an dem sie ungestört sein konnte.
    Der unterschwellige Chorgesang in der Ferne war verstummt. Ihre Gedanken gingen zu Padre Antonio. War es seine Anwesenheit gewesen, die ihr Urteilsvermögen getrübt hatte? Selbst jetzt konnte sie sich den Pater nicht aus dem Sinn schlagen. Er würde bestimmt sofort auf die Nachricht der jungen Nonne hin zur Zelle von Suor Ablata eilen. Sie musste von hier fort, ehe der ganze Konvent wie ein Bienenschwarm summte.
    Mit steifen Beinen vom langen Knien stolperte sie los. Anfänglich humpelte sie, dann wurden ihre Gelenke geschmeidiger und die Bewegung sicherer.
    An der Zelle ihrer Mitschwester Ablata konnte sie nicht vorübergehen, ohne wenigstens einen Blick hineinzuwerfen. Sie lauschte, hörte Lärm und Fußgetrampel in der Ferne, aber noch war niemand zu sehen. Ohne länger nachzudenken, trat sie ein.
    Die Schwester lag auf dem Rücken, die Hände über der Brust gefaltet. Das Kinn war ihr auf die Brust gesunken, und der Mund klaffte auf, als hätte durch ihn die Seele ihren Körper verlassen. Die Wangen waren hohl, die geschlossenen Augen umschattet. Isabella betrachtete den Hals der toten Schwester, ob sich daran nicht dieselben Male zeigten wie bei ihrer Tante. Doch Suor Ablata schien tatsächlich am Schrecken gestorben zu sein, den für sie der Verlust des Chorbuchs bedeutete. »Verzeiht mir, Suor Ablata!«, murmelte Isabella. Hätte sie nicht diesen Plan gefasst, würde Suor Ablata noch leben. Sie griff nach dem Kettchen, das sie sich um den Hals gelegt hatte, zog den Schlüssel hervor und legte ihn der Chornonne in die Hände. Ihr das Kettchen über den Kopf zu ziehen wagte sie nicht.
    Sie hatte keine Zeit mehr, sich Gedanken zu machen, auch nicht über die seltsame Stille, welche die Tote umgab, als habe sichmit dem Tod nicht nur das Leben, sondern jegliches Geräusch entfernt. Von Suor Ablata würde sie keine Auskunft mehr erhalten, weder darüber, wer all diese verwirrenden Pläne und Hinweise angebracht hatte, noch was genau damit verborgen werden sollte.
    Rückwärts lief sie aus der Zelle, bekreuzigte sich und eilte von dannen. Mit irgendjemandem wollte sie ihr Geheimnis teilen, und sie wusste, dass es nicht der Pater sein würde – und Julia Contarini konnte es nun auch nicht mehr sein. Sie dachte an Anna und das Kind, an den »Roten Ochsen« und wusste, wohin sie gehen würde.
    Außerdem musste sie noch etwas erledigen, bevor sie verschwand.

KAPITEL 42 Padre Antonio stampfte mit dem Fuß auf und biss sich gleichzeitig auf die Lippe. Er hätte die Educanda nicht aus den Augen lassen dürfen. Sie hatte tatsächlich gewusst, wo das Chorbuch versteckt worden war. Zu dritt hatten sie es aus dem Schrank zurück in den Nonnenchor getragen. Jetzt lag das Buch wieder im Nonnenchor auf seiner Halterung, und er blätterte darin vor und zurück. Vor unterdrücktem Zorn flimmerte es ihm vor den Augen. Zwar hatte er die Initiale »I« gefunden, weil er den Turbanträger kannte und sich an das Papyrus dickicht erinnert hatte, aus dem er hervorsah.
    Bei allen anderen stieß er aber auf beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten. Das »I« kam allein weitere fünf Mal vor und hatte ebenso viele unterschiedliche Ausmalungen, das »N« sogar sieben Mal, ohne dass er gewusst hätte, wie sich das Bild, das zu der richtigen Initiale gehörte, von den anderen unterschied, die offenbar auf falsche Fährten führen sollten. Ebenso erging es ihm bei der Initiale »R«. Er akzeptierte Isabellas Hinweise zu den Initialen »R« und »N«, aber er verstand sie nicht.
    Es war zwar nicht ganz aussichtslos, dass er dahinterkam, daer die zugeordneten Bilder aus der Erzählung Isabellas kannte, nämlich sowohl die Verkündigung Marias als auch das Gelehrtenbild. Er hätte Zeit und Muße benötigt, um das Bild zur vierten Initiale zu finden, denn es gab vier verschiedene Szenen dazu, ohne dass er feststellen konnte, welches das richtige Bild sein mochte. Es war zum Verzweifeln. Doch das war noch nicht alles. Isabella schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Einzig die Tatsache, dass ihm die Priorin den Zugang zu der Neumenhandschrift erlaubt hatte, stimmte ihn etwas frohgemuter. Zwar hatten die Zähne der Signora gehörig dabei geknirscht, doch sie hatte es ihm kaum verweigern können, sonst hätte er das Buch konfisziert

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