Die Botschaft Der Novizin
etwas.«
Padre Antonio nickte. Die Sache mit dem Buch, sagte er sich, würde ohnehin nicht so einfach werden. Wenn es irgendwo verborgen lag, dann an einem nicht leicht zugänglichen Ort, an dem man es vermutlich nicht ohne Probleme würde aufschlagen können.
Isabella lief weiter vor ihm her, diesmal beschleunigte sie den Schritt, und der Pater geriet ein wenig außer Atem.
Von allen Ecken und Enden des Konvents liefen die Nonnen und Conversas zusammen, manche noch mit von Erde beschmutzten Händen, da sie ihre Arbeit im Garten unterbrochen hatten, andere, die in der Wäscherei zu tun gehabt hatten, mit feuchtenÄrmeln. Auch die Cellerarin befand sich unter den Frauen und verbreitete einen Geruch nach gärendem Kraut und in Essigwasser eingelegten Zucchini mit Zwiebeln und Knoblauch. Flüsternd und wispernd strömten die Frauen in den Kapitelsaal, wechselten Blicke und trugen besorgte Mienen zur Schau. Ein unaufhörlicher Strom von Worten lief zwischen ihnen hin und her. Es klang wie das unablässige Plätschern und Gurgeln eines Gebirgsbachs.
»Was ist geschehen?«, wisperte der Pater und versuchte den an ihm vorbeihuschenden Nonnen eine Antwort zu entlocken. Doch die wichen ihm aus.
Der Kapitelsaal füllte sich. Trotz der großen Zahl der Frauen ging alles beinahe reibungslos vor sich. Padre Antonio entdeckte an der Kathedra der Äbtissin den Patriarchen. Mit unruhigen Blicken musterte er die Menge. Sein Gesicht war bleich, seine Miene wirkte wie gemeißelt. Neben ihm stand Signora Artella, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, und musterte die eintretenden Frauen einzeln. Der Pater ermahnte sich, weil er bereits den Jargon der Nonnen übernommen hatte, und wiederholte still für sich ihre richtige Bezeichnung: Suor Artella. An Isabella blieb der Blick der Priorin länger hängen, und ein spöttisches Lächeln zuckte über ihre Mundwinkel. Der Platz der Äbtissin blieb leer.
Der Pater hatte Isabella aus den Augen verloren, und er versuchte erst gar nicht, sie zu finden. Als der Patriarch seiner ansichtig wurde, winkte er ihn mit einer fahrigen Geste heran. Die Frauen öffneten ihm eine Gasse und ließen ihn durch.
»Padre Antonio!«, begrüßte ihn der Patriarch. »Endlich!« »Eminenz?«, antwortete der Pater und küsste den dargebotenen Ring. Als er aufblickte, sah er in ein verstörtes, verschlossenes Gesicht.
»Etwas Schreckliches ist geschehen, Pater!« Der Patriarch konnte oder wollte nicht leise reden, sodass die erste Reihe der Nonnen neugierig die Köpfe hob. »Diese Novizin. Diese Tochteraus einer Dogen-Familie. Ihr wisst schon ...!« Mehr brachte der Patriarch nicht über die Lippen. Seine Lippen zitterten. Seine Augen fixierten keinen Gegenstand, sondern huschten über alles nur hinweg, als sehe er hinter den Gegenständen Anderes, Schrecklicheres! »Der Herr stehe uns bei!«
Wie Wellen huschten die Neuigkeiten von Lippen zu Lippen und schwappten hierhin und dorthin, bis sie sich wieder trafen und alle Anwesenden erfahren hatten, was der Patriarch gerufen hatte.
Signora Artella hob die Hand, und langsam verstummten die Einzelgespräche, und die Blicke der Nonnen richteten sich nach vorne aus. Padre Antonio suchte in der Menge vor ihm Isabella, doch die Educanda verbarg sich hinter irgendjemandes Rücken.
»Ehrwürdige Mütter, Conversas, Educandas!«, begann Signora Artella mit einer brechenden Stimme. »Die ehrwürdige Mutter Äbtissin ...«, hier stockte sie und musste ihren zitternden Unterkiefer unter Kontrolle bringen. Das gemeinsame Einatmen aller Frauen zur selben Zeit ließ ein scharfes Zischen hören. »... musste überraschend nach Torcello abreisen. Deshalb habe ich die schreckliche Nachricht zu überbringen ...« Wieder versagte ihre Stimme.
Padre Antonio wurde immer unruhiger. Zweimal hatte er jetzt die Versammlung des Konvents bereits überflogen, doch konnte er Isabella nirgendwo sehen. Und während Signora Artella verkündete, dass Julia Contarini verstorben sei, breitete sich eine eisige Stille aus.
»Sie ist bereits das zweite Todesopfer in kurzer Zeit unter uns Frauen. Wie alle wissen, litt das arme Mädchen unter der Fallsucht.«
Was zuvor noch an Scharren, Rascheln oder Wispern übriggeblieben war, verebbte gänzlich, als die rückwärtige Tür aufging und – gebettet in einen schlichten Holzsarg – die tote Novizin hereingetragen wurde. Nicht einmal ein Räuspern war mehr zuhören, geschweige denn ein Atemzug. Es war, als hielten über sechzig Nonnen
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