Die Botschaft Der Novizin
Tatsächlich glaubte er neben seiner eigenen Schrittfolge eine weitere zu hören, die sich der seinen angepasst hatte. Wenn er auftrat, trat sein Verfolger ebenfalls auf. Entschlossen eilte der Pater vorwärts in Richtung seiner Besucherzelle.
Die Tür stand offen. Padre Antonio beeilte sich, weil er nicht glauben konnte, was er bereits ahnte. Als er unter die Türschwelle trat, blickte er auf den Rücken einer Gestalt, der sich,mit dort verschränkten Armen, über die Gegenstände beugte, die in der gesamten Zelle verstreut herumlagen.
Der Pater erschrak, denn die dunkle Soutane erschien ihm der nicht unähnlich, die er eben hinter einem Fensterkreuz hatte verschwinden sehen. Doch sofort sagte ihm seinVerstand, dass dies unmöglich sei. Er hatte den kürzesten Weg genommen, folglich konnten die geheimnisvolle Person und der Mann vor ihm nicht dieselben Menschen sein.
Mit einem Räuspern machte er auf sich aufmerksam. Der Fremde drehte sich um.
»Ach, Ihr seid es, Padre. Hattet Ihr es eilig, oder wie darf ich das verstehen?« Der Patriarch von Venedig deutete mit einer lässigen Bewegung seines Arms in die Runde.
Padre Antonio zwang sich zu einem Lächeln und zu einer unschuldigen Miene.
»Eminenz, ich weiß nicht, wer meine Zelle derart durcheinandergebracht hat. Ich vermute jedoch, dass der Unmut der Damen sich hier ... wie soll ich sagen ... ein wenig Luft verschafft hat. Harmlos, aber mit ein wenig Arbeit verbunden.«
Gerolamo Querine seufzte, als missbillige er die Unordnung, füge sich aber in die Notwendigkeit, Geduld mit den Frauen zu üben.
»Padre, ich habe Euch nicht aufgesucht, um über die Ordnung in Eurer Zelle zu sprechen.« Er trat einen Schritt näher und senkte die Stimme. »Es geht um den unerwarteten Tod dieser Novizin. Sie war ein Spross aus einer der bedeutendsten Familien Venedigs, auch wenn die Contarinis den letzten Dogen vor, nun ja, nicht ganz zweihundert Jahren gestellt haben. Das wird Fragen aufwerfen.« Der Patriarch hüstelte verlegen in die Faust. »Findet Ihr nicht, dass es in der letzten Zeit zu viele Tote gab? Als hätte es jemand darauf angelegt, die Chornonnen auszurotten.« Mit einer ungeduldigen Handbewegung befahl er den Pater noch näher zu sich heran. »Wir machen, wie Ihr wisst, Pater, diese Visitation, weil wir befürchten, ketzerische Gedanken wie dieLehre jenes deutschen Mönchs könnten das Leben der christlichen Frauengemeinschaft vergiften. Was niemand erwartet hat, ist die Tatsache, dass hier offenbar tatsächlich ... wie soll ich sagen ...«, der Patriarch senkte seine Stimme zu einem heiseren Flüstern, »seine Gedanken wie der Gottseibeiuns umgehen.« Der Patriarch fasste den Pater am Arm und zog ihn aus der Zelle hinaus. »Denkt darüber nach. Beobachtet. Teilt mir Eure Erkenntnisse mit. Schließlich sollten wir Bescheid wissen über die Entwicklungen unter den Frauen hier.« Wieder machte er eine Pause. »Wenn er wirklich hier eingedrungen ist, müssen wir es wissen!« Dabei ließ er offen, wen oder was er mit diesem gewisperten »er« gemeint haben könnte.
Sie gingen den Gang entlang, und der Patriarch ließ vorsichtig den Kopf beständig hin und her pendeln, als erwarte er einen Hinterhalt. »Im Reich laufen den Klöstern die Frauen davon und heiraten! Heiraten! Die Bräute des Herrn!« Die letzten Worte flüsterte er nur noch vor sich hin. Dann ließ er den Pater stehen und eilte davon, ohne ein weiteres Wort mit ihm gewechselt zu haben.
Nachdenklich ging Padre Antonio zu seiner Zelle zurück und ließ von der offenen Tür aus den Blick über das Chaos schweifen. Hier hatte jemand nach etwas gesucht. Doch was besaß er, das anderen nützlich wäre? Allzu viele persönliche Dinge führte er ohnehin nicht mit sich. Systematisch überlegte er, ob etwas fehlte, und bereits nach wenigen Handgriffen konnte er sagen, was der unbekannte Besucher gesucht und offenbar gefunden hatte: den Grundriss des Klosters.
Isabella! Nur sie konnte sein Zimmer verwüstet und die Karte entwendet haben. Er hatte dieses Weibsstück unterschätzt. Dabei hatte er gedacht, die Annäherung, die zwischen ihnen stattgefunden hatte, hätte sie gefügig gemacht. Er würde noch an seiner eigenen Überheblichkeit zugrunde gehen. Mit ein wenig mehr Nachdenken hätte er ihren Plan durchschauen und durchkreuzen können.
KAPITEL 43 »Ich habe Signora Artella gesagt, du kommst wieder. Ich wusste es.« Suor Anna grinste über beide Wangen. Sie saß auf dem Bett, ein Kissen auf dem Schoß
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