Die Botschaft Der Novizin
dem der Schacht abgedeckt war, doch der Pater hielt sie am Arm fest. Beinahe wütend drehte sie sich zu ihm um und wollte ihn anherrschen, dass er nicht das Recht habe, sie zurückzuhalten, aber der Geistliche deutete mit dem Kopf stumm nach oben und legte einen Finger auf die Lippen.
Über dem Hof lief im Obergeschoss eine Galerie entlang. Dahinter musste ein Gang sein, der zum Nonnenchor führte. Jetzt sah sie über sich durch die Bogenöffnungen den wehenden Schleier einer Nonne, vermutlich der gleichen wie soeben. Signora Artella lief hastig, ja sie rannte beinahe. Als die Priorin verschwunden war, wollte Isabella erneut loslaufen, doch der Pater hatte seinen Griff um ihren Oberarm noch nicht gelockert. Statt sie freizugeben, zog er sie noch tiefer in den Schatten des Durchgangs hinein. Diesmal verstand Isabella sofort. Denn der Wind, der wie ein ungezogener junger Hund im Innenhof herumtollte, bauschte erneut den Stoff eines schwarzen Habits im Bogengang des Obergeschosses. Die Gestalt, die Signora Artella folgte, hielt plötzlich inne, und ein aufgeregtes Flüstern drang herunter, von einer helleren und einer dunkleren Stimme, zu leise, um irgendeinen Sinn in den Worten erkennen zu lassen, und von den Böen verzerrt. Schließlich kehrte Ruhe ein. Während Signora Artella vermutlich in Richtung des Nonnenchors verschwand, warf die Gestalt im dunklen Umhang noch einen Blick hinunter in den Hof, dann wandte sie sich ab und eilte in die Gegenrichtung davon.
»Was war das?«, wagte Isabella zu flüstern, als der Spuk vorüber war.
»Die Frage muss lauten: Wer war das? Und was hat Signora Artella hier zu schaffen? Das gilt es zu überprüfen«, sagte der Pater. »Dazu werden wir sicher noch Gelegenheit finden. Oder habt Ihr einen Verdacht, Isabella?«
Isabella zuckte nur mit den Schultern. Obwohl ihr beim Anblick des Unbekannten unheimlich zumute geworden war, unterdrückte sie ihr Unbehagen. Sie war zu nahe an ihrem Ziel, als dass sie auf den letzten Schritten umkehren würde.
Sie warteten noch einen Moment, dann, als nichts mehr geschah, nickten sie sich zu und traten beide in die Mitte des Platzes.
Mit Hilfe des Paters entriegelte Isabella den Deckel und hob beide Deckelhälften des Zisternenbrunnens an. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch blickte sie nach unten. Eine gähnende Schwärze, aus der es hohl und kalt heraufklang, schlug ihnen entgegen.
»Es muss doch noch einen weiteren Eingang geben!«, stöhnte Isabella auf.
»Heißt das vielleicht, Ihr wollt hier gar nicht einsteigen?« Padre Antonio hielt die Lampe hoch und streifte das Tuch ab, während er das Innere des Schachtes ableuchtete.
»Nicht, wenn es einen bequemeren Zugang gibt!«
»Ich fürchte, es wird der einzige Zugang bleiben«, sagte der Pater und deutete auf zwei Eisen, die sich ein Stück unterhalb des Brunnenrandes befanden. »Sonst wären die Tritte hier nicht eingelassen.«
»Und jetzt?«, fragte Isabella.
»Hinunter. Ich gehe zuerst.« Isabella wollte protestieren, doch der Pater schnitt ihr das Wort ab. »Wir haben keine Zeit zu disputieren. Ich halte mich am Brunnenseil fest.« Er deutete auf den Kübel, dessen Seil durch eine Rolle lief. »Ihr lasst den Kübel ab und haltet den Strick straff. Nehmt die Kurbel!«
Bevor sie etwas erwidern konnte, schwang sich der Pater auf den Brunnenrand. Isabella griff hastig nach der Kurbelwelle, als sich der Pater bereits in den Schlund hinabließ. Er hielt sich mit einer Hand am Brunnenrand fest, tastete mit den Beinen im Dunkeln und packte das Seil. »Es gilt, Isabella!« Er sah ihr direkt in die Augen. »Eine Lampe, schnell!« Ohne die Kurbel loszulassen, nahm sie eine der Laternen und entfernte das Tuch davon. Als sie dem Pater die Lampe reichte, leuchtete diese den Boden nicht aus. »In die linke Hand«, befahl Padre Antonio. Sie reichte ihm die Lampe in die Hand, die sich am Brunnentau festhielt. Der Pater nickte ihr zu, dann ließ er sich nach unten gleiten.
Isabella hatte Angst, dass ihre Kraft nicht ausreichen würde, den Pater zu halten, oder dass der Strick reißen und der Mann in die Tiefe stürzen würde. Doch dann hörte sie zu ihrer Verblüffung den Geistlichen rufen. Es klang dumpf und hallte dunkel. »Jetzt Ihr! Aber lasst zuerst die zweite Laterne ab.«
Isabella, noch immer an der Kurbel, wagte einen Blick über den Rand. Der Pater stand nur etwa zehn Fuß unter ihr auf einem Sims. Dann holte sie den Eimer auf, stellte die Laterne hinein und ließ diese hinab. Wenig
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