Die Botschaft Der Novizin
später folgte sie selbst.
»Haltet Euch am Brunnenrand fest. Ihr braucht das Seil gar nicht!«, flüsterte der Pater. Doch es hallte so sehr, dass sich Isabella umsah, ob jemand sie hören konnte. Aber das Einzige, was an ihre Ohren drang, war der ferne Gesang der Nonnen im Chor, die Christus den Herrn priesen und seine Mutter Maria, die ihn geboren hatte.
Als Kind war sie im Dachstuhl ihres Elternhauses herumgeklettert oder beim Onkel auf der Terra ferma hoch in die Tenne, doch das war lange her. Sie hielt sich am Brunnenrand fest und wagte den Schritt darüber hinaus. Ihre Zehen suchten nach dem ersten Tritt. Sie fühlte, wie sich ihr Habit am Fuß verhakte, musste ihn erst durch Schütteln befreien und konnte dann erneut nach der Metallstufe tasten. Ihre Finger begannenden Halt zu verlieren und zu rutschen. Sie hatte nicht die Kraft, sich lange festzuklammern, und glaubte schon in die Tiefe zu stürzen, als sie spürte, wie eine Hand nach ihrem Fuß griff und ihn auf die richtige Stelle setzte.
»Verschwindet unter mir!«, zischte sie, weil ihr bewusst wurde, dass sie nichts unter ihrem Gewand trug außer ihr Hemd.
»Ich sehe nichts, was ich nicht kennen würde!«, antwortete der Pater, und sie sah ihn vor ihrem inneren Auge grinsen. Wütend ließ sie sich weiter ab, obwohl ihre Arme bereits zu zittern begannen. Links von sich entdeckte sie eine Griffmulde im Stein. Sie langte hinein, und ab dann war alles recht einfach. Auch wenn sie noch mit den Füßen tasten musste, führten die Eisenhalterungen doch stetig nach unten, und auf halber Höhe konnte sie sich an diesen selbst festhalten.
»Ihr könnt jetzt loslassen!«, sagte der Pater unter ihr und griff um ihre Hüfte. »Ich halte Euch!«
»Lasst mich los!«, fauchte sie zurück und machte auch die letzten Schritte allein.
Der Schacht führte auf eine breite, gemauerte Unterteilung, welche die Kaverne in der Mitte durchzog. Padre Antonio entfernte das Tuch von der zweiten Lampe. Der Schein beider Laternen erhellte den gesamten Raum nicht. Links und rechts von ihnen stand schwarz das Wasser. Die gemauerten Gewölbebögen über dem Sims zwangen sie zu einer gebückten Haltung. »Wie tief ist das Wasser?«, fragte Isabella. Sie ließ sich in die Hocke nieder, um das Gewölbe in Augenschein nehmen zu können.
»Höchstens drei Fuß, womöglich niedriger. Und wo sollen wir jetzt suchen?«, fragte der Pater, was sie sich selbst längst gefragt hatte.
Der gesamte Innenhof war unterkellert. Der Platz über ihnen stand buchstäblich auf kurzen, kräftigen Säulen. Die Kaverne, nach der Decke zu urteilen, war mit einer Art Mörtelmasse ausgestrichen, wie Isabella sie von der Zisterne vor dem Hausihres Vaters kannte. Das Material kam vermutlich aus Neapel. Dort wurde die Asche des Vesuvs seit den Zeiten der Römer zu einem wasserdichten Mörtel angemischt. Er verhinderte, dass Meerwasser eindrang und das Trinkwasser unbrauchbar machte. Zugleich konnte nichts von dem kostbaren Nass in den Lagunenuntergrund versickern.
Der Regen wurde auf den Dächern gesammelt, in den Innenhof geleitet und von dort mit Hilfe von Rinnen und durchbrochenen Filtersteinen in die Tiefe geführt. Daneben schwemmte der Regen natürlich auch den Staub in die Tiefe, weshalb die Kavernen regelmäßig gereinigt werden mussten. Nur so blieb das Wasser über lange Zeit hin sauber und trinkbar.
»Zisternen werden mindestens alle fünf Jahre gereinigt«, flüsterte Isabella, ohne auf die Frage des Paters einzugehen. Sie verfolgte einen anderen Gedanken. »Wenn sie so oft besucht wird, müsste eine verborgene Kammer oder etwas dergleichen längst aufgefallen sein.«
Padre Antonio lief in der Hocke die Trennmauer entlang und leuchtete die Kaverne links und rechts neben sich aus. »Außerdem ist sie überall dicht verputzt«, rief er. »Wenn wir hier eine Öffnung finden wollen, dann sicherlich nur hinter dem Verputz. Den müssten wir abschlagen. Das ist ein Lebenswerk und von uns nicht zu leisten.« Er keuchte vor Anstrengung.
Isabella sah hinunter in das Wasser. Solange die Lichtquelle nahe bei ihr lag, wirkte das Wasser schwarz und undurchdringlich. Doch als der Pater sich mit der Laterne von ihr wegbewegte, war es, als zöge man eine Samtdecke vom Wasser, und es wurde durchsichtig wie ein Beryll. Sie konnte hinabsehen bis auf den Grund, der bleich und grau vor ihr lag.
»Bleibt, wo Ihr seid, Pater!«, sagte sie. »Die Laterne hier herüber, nach rechts. Haltet sie so. Ruhig. Ihr leuchtet
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