Die Botschaft Der Novizin
erwartet. Jede Zisterne mit Außenzugang besaß eine solche Mulde. Es war der tiefste Punkt der Kaverne. Dort lief alles Wasser zusammen. So konnte man wirklich den letzten Tropfen davon ausschöpfen. Außerdem diente die Kuhle beim Reinigen dazu, den Schmutz aufzufangen.
Sie stieg die Treppe hinauf, schüttelte das Wasser ab wie ein Hund, stellte ihre Lampe, die durch das eindringende Wasser gelöscht worden war, auf eine Treppenstufe, und kleidete sich rasch an. Für einen winzigen Moment dachte sie an die staunende und gierige Miene des Paters, als sie völlig nackt vor ihm gestanden hatte. Sie hatte es einerseits als Kompliment verstanden, andererseits waren Männer leicht einzuschätzen und ebenso leicht zu beeinflussen. Sie lächelte in die Dunkelheit hinein, dann lenkte sie die Gedanken in eine andere Richtung.
Ihre Neugier ließ sie nicht ruhen. Zwar hörte sie den Pater hinter sich rufen, doch sie wollte wissen, wo diese Treppe im Kloster endete. Vorsichtig tastete sie sich nach oben. Wenn sie die räumlichen Verhältnisse richtig einschätzte, musste sie irgendwo in der Nähe des Nonnenchors oder der Kirche herauskommen. Die Treppe ging in eine Wendel über und führte steil nach oben. Hätte die Kirche einen Campanile besessen, wäre ihr erster Gedanke gewesen, dass dies der Unterbau des Turmes sein müsste. Doch San Lorenzo besaß keinen Turm. Wohin also führte die Treppe?
Abrupt endeten die Stufen an einer hölzernen Sperre. War das eine Tür? Die Rückwand einer Täfelung? Sie tastete vorsichtig die Holzpaneele ab, konnte jedoch keinen Türgriff oder einen anderen Öffnungsmechanismus entdecken. Sie benötigte Licht. Also musste sie doch zurück und versuchen, die Laterne wieder in Gang zu bringen.
Eben wollte sie sich umdrehen und wieder nach unten gehen, um zu sehen, ob der Pater das Hindernis ebenfalls schadlos überwunden hatte, als sie auf der anderen Seite Stimmen vernahm. Jenseits der Holzverkleidung wurde gesprochen. Isabella drückte ein Ohr an das Paneel und stutzte. Deutlich hörte sie mehrmals ihren Namen nennen. Sie konnte eine männliche und eine weibliche Stimme unterscheiden, obwohl der Raum dahinter und das Holz zwischen ihr und den Sprechern die Stimmen verzerrte. Das weibliche Timbre kam ihr bekannt vor. Auch die männliche Stimme, die tief war und dennoch melodisch klang, hatte sie schon einmal vernommen. Das Gespräch selbst drängte diese Frage schnell in den Hintergrund.
»Warum seid ihr aus dem ›Ochsen‹ entflohen? Meine Männer waren vor Ort. Sie hatten den Auftrag, so zu tun, als nähmen sie euch gefangen, und euch auf die Terra ferma zu bringen.« Der Mann wirkte verärgert.
Die Antwort erfolgte laut, und die Frau zischte wie eine der Furien der Sagen.
»Oh, da haben sie sich aber gut getarnt!«, höhnte sie. »Das Einzige, woran ich denken konnte, war Vergewaltigung und Schlimmeres. Alles nur Spiel?« Sie ließ eine Pause, in der sie Luft holen musste. »Keiner dieser Kerle hat auch nur den Anschein erweckt, als wolle er mir helfen. Im Gegenteil, sie haben sich aufgeführt wie wilde Tiere!«
Der Mann schien auf und ab zu gehen, denn Isabella hörte Schritte und das Knarren der Holzdielen unter seinem Gewicht.
»Sie mussten euch erst einmal finden. Hättet ihr nicht einen Hinweis geben können, wo ihr euch versteckt hieltet?«
Die Frau lachte höhnisch. »Nun, sie haben ja die Spur gefunden, besoffen wie sie waren! Die Educanda war schließlich auffällig genug bei ihren Touren durch Venedig.«
Isabella musste schlucken. War hier von ihr die Rede? Das Kloster besaß nur eine Educanda, nämlich sie selbst. Am liebsten hätte sie die Holzpaneele eingeschlagen und sich dieser Frau gezeigt. Doch die Antwort des Mannes dämpfte ihren Zorn. »Das kleine Biest ist viel zu schlau. Jetzt ist sie wie vom Erdboden verschluckt, und du hast keine Ahnung, wo sie abgeblieben ist. Verdammtes Weib!« Isabella vernahm ein Klatschen und das Wimmern der Frau. Der Bursche hatte sie geschlagen. »Oder willst du es mir nicht sagen?«
»Damit Ihr sie tötet wie die kleine Contarini?«, fauchte die Unbekannte weinerlich.
Ein Knall ließ Isabella zusammenfahren. Der Kerl musste mit einem Gegenstand oder der flachen Hand auf eine Tischplatte geschlagen haben. In diesem Augenblick mischte sich eine dritte Person in das Gespräch ein. Zuerst gluckste es nur, dann begann ein dünnes Stimmchen in einer Tonlage zu quengeln, die keinen Zweifel zuließ. Es war ein Baby, das da schrie.
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