Die Botschaft Der Novizin
Brunnenstein.
Isabella zupfte ihn am Ärmel. Als er den Blick wandte, hielt sie einen Finger vor den Mund und zog ihn vom Fenster weg. Der Brunnen war auf eine Stufe aufgesetzt und so erhöht worden. Weißer Kalkstein fasste den Brunnen, der in den Jahrhunderten abgetreten worden war, wo die Nonnen gestanden hatten, um ihr tägliches Gieß- und Trinkwasser zu holen. In einer dieser Trittmulden stand eine dunkle Gestalt leicht vornübergebeugt und lauschte reglos in die Tiefe. Einmal hielt sie sich eine Hand an die Ohrmuschel, um besser horchen zu können, doch es drangen keine Geräusche mehr nach oben, schließlich hatten sie beide die Kaverne längst verlassen.
»Glaubt Ihr, dieser Kerl da war es, der die Deckel geschlossen hat?«, flüsterte der Pater. Dass es sich um einen Mann handelte, war nicht zu übersehen. Allein die Hände hatten nichtsWeibliches an sich. Sie waren kräftig – und an einem der Finger steckte ein goldener Ring.
Als würde die dunkle Gestalt dies bestätigen wollen, rüttelte sie an der Verriegelung und prüfte, ob alles gesichert war. Dann lauschte sie ein weiteres Mal in die Tiefe, und als sie nichts hörte, entlockte ihr dies ein Lachen, das im Hof widerhallte.
Der Pater, dem die Selbstgefälligkeit dieses Wesens einen Stich versetzte, konnte sich nicht zurückhalten. Schließlich hatte dieses Ungeheuer ihren Tod in Kauf genommen.
»Freut Euch nicht zu früh!«, schrie er in den Innenhof hinunter.
Er sah noch, wie der Schwarzgekleidete hochfuhr und um sich starrte, doch der Pater hatte sich so schnell zurückgezogen, dass er ihn nicht bemerkt haben konnte. Außerdem hallte seine Stimme am anderen Ende des Innenhofs wider, und es entstand der Eindruck, er rufe von der gegenüber liegenden Seite.
»Seid Ihr verrückt geworden?«, fuhr ihn Isabella an. Sie vernahmen Schritte, die sich rasch entfernten, dann schlug eine Tür. »Jetzt habt Ihr ihn vertrieben. Wir hätten ihn heimlich verfolgen können, ohne dass er von uns gewusst hätte. Er wird zukünftig vorsichtiger sein.«
Der Pater vernahm durchaus den ärgerlichen Unterton, der in ihrer Stimme mitschwang.
»Sonst fühlt er sich zu sicher«, konterte er.
»Jetzt ist er jedenfalls gewarnt. Dass es kein Geist ist, konntet Ihr jetzt auch hören! Er ist ein Mensch, und Menschen reagieren auf Bedrohungen und versuchen sich zu schützen. Und sie reagieren dabei nicht immer vernünftig.« Isabella blickte zu Boden, als müsse sie ihre Argumente von dort aufklauben. »Womöglich ist durch Eure Unvorsichtigkeit jemand in Gefahr geraten, der zuvor keine Angst hätte haben müssen.«
Verblüfft sah der Pater sie an. Der letzte Satz machte ihn stutzig. Isabella wusste mehr, als sie ihm sagen wollte. »Woraus schließt Ihr das?«, hakte er nach.
»Ich denke, bevor ich handle«, zischte sie ihn an.
Sie mussten ein paar Stunden ruhen. Auch der Pater fühlte, wie ihn langsam die Müdigkeit übermannte. Eine Nacht hatten sie sich um die Ohren geschlagen, und das forderte jetzt Tribut. Die Gänge, durch die sie schlichen, kamen ihm plötzlich bedrohlich vor. Nichts war geblieben von der Würde und der Gelassenheit des Alters, die er verspürt hatte, als er das Gemäuer zum ersten Mal betreten hatte.
Unbehelligt erreichten sie sein Gästezimmer. Isabella streifte sich ihre Kleider vom Leib, schlang sich ein Laken um und warf sich auf die Pritsche. Sie war eingeschlafen, bevor Padre Antonio etwas sagen konnte. Das Bett war zu schmal, sonst hätte sich der Pater zu ihr gelegt. Er selbst nahm, nachdem er seine Soutane gewechselt hatte, mit dem Stuhl vorlieb, setzte sich darauf und versuchte ebenfalls die Augen zu schließen.
Sofort verfing er sich in wirren Träumen, in denen er sich mit dem Patriarchen von Venedig stritt und ihn schalt, das Manuskript der Nonnen nicht längst nach Rom geschafft zu haben, während Gerolamo Querine bestritt, von diesem Klosterschatz jemals etwas gewusst zu haben. Der Patriarch fasste ihn am Kragen und schüttelte und beschimpfte ihn, warum er nicht eher mit dieser Bitte zu ihm gekommen sei. Jetzt müsse man damit rechnen, dass aufgrund seines Versäumnisses die Anhänger dieses deutschen Augustinermönchs in den Besitz der Aufzeichnungen der Muttergottes geraten würden. Wie so etwas ausgehe, wisse man schließlich, seit dieser Luther das Neue Testament übersetzt habe. Padre Antonio hatte das untrügliche Gefühl, angelogen zu werden, und wollte sich wortstark verteidigen und schlug gegen den Arm, der ihn
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