Die Botschaft Der Novizin
rüttelte. Doch in diesem Augenblick verlor er den Halt und begann zu stürzen. Er griff zuerst ins Leere, griff dann nach dem Gewand des Patriarchen und sah vor sich das Gesicht einer Nonne.
»Endlich! Ich dachte bereits, Ihr würdet niemals aufwachen!«, zischte eine weibliche Stimme.
Padre Antonios Kopf fühlte sich an, als hätte man ihn unter Wasser gedrückt. Er sah alles wie durch einen Schleier hindurch. Die Stimme klang dumpf. Ein Druck lag auf seinem Gehör, auf seinen Augen.
»Kommt zu Euch, Padre. Wir müssen handeln!«
Langsam begriff der Pater, wo er sich befand, sah die Wände seines Zimmers, sah verwundert auf der Pritsche eine Frau liegen, schlafend, in ein Laken gehüllt, mit abgewandtem Gesicht.
»Ich weiß zwar nicht, was ich hiervon halten soll«, zischte die Nonne, in der Padre Antonio Signora Artella erkannte, »doch Ihr werdet Eure Gründe haben. Auf! Es ist etwas geschehen!« Wie lange hatte er geschlafen? Wenn er von seinem Gefühl ausging, höchstens zehn Minuten. Es mussten jedoch mindestens zwei Stunden gewesen sein, denn die Sonne schien durch das Oberlicht in sein Besucherzimmer, und das geschah nur frühmorgens zwischen sieben und acht. Danach verschwand sie hinter dem Trakt mit den Zellen der Schwestern. Über der Pritsche zeichnete die Fensteröffnung ein Lichtkreuz an die Wand, das zwar nach einer Seite hin verzerrt war, ihn jedoch bislang jeden Morgen in Erstaunen versetzt hatte. Heute nahm er es gelassen und sogar ein wenig verärgert hin. Er fühlte sich zerschlagen.
»Was wollt Ihr?«, fragte er und musste herzhaft gähnen. »Was ist geschehen?«
»Jemand hat den Friedhof entweiht.«
KAPITEL 56 Isabella erwachte, verstrickt in ein Wirrwarr aus Gedanken, die sich wie ein Nest Schlangen ineinander verknäulten, ohne Kopf und Schwanz, Anfang und Ende. Sie versuchte erst gar nicht, den endlosen Windungen zu folgen, dennoch hatte etwas darin sie geweckt.
Isabella stützte sich auf ihre Unterarme und richtete sich auf.
Einen Moment lang musste sie sich orientieren, bis sie verstand,wo sie lag: auf einer Pritsche im Besucherzimmer Padre Antonios. Sie war allein.
Durst quälte sie, und sie musste dringend zum Abort. Im Augenblick kümmerte sie sich nicht darum, wo der Pater abgeblieben war, denn ganz andere Dinge trieben sie um.
Isabella erhob sich, schlüpfte in ihr noch leicht feuchtes Überkleid, strich es glatt und versuchte nachzudenken. All die Ereignisse der letzten Tage lasteten wie Mühlsteine auf ihrer Brust. Sie fühlte sich wie einer der Helden in den Ritterromanen, die ihr Vater für reiche Kaufleute druckte. Verwickelt in die unterschiedlichsten Kabalen und eigentlich nicht in der Lage, sie zu lösen, und doch erfüllt von hohen moralischen Werten und dem Mut desjenigen, der weiß, wie wenig sein Leben wert ist, wenn ihm nicht göttlicher Beistand zuteil wird. Hoffentlich war es bei ihr ebenso. Vor allem, was die Hilfe Gottes anbelangte.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Sie war nicht aufgewacht, weil sie ausgeschlafen hatte. Ein Gedanke hatte sie aufgeschreckt, ein Wissen derart schmerzhaft überfallen, als wäre sie von einer der Schlangen in ihrem Gedankenknäuel gebissen worden. Die Traumerinnerungen waren so wirr und zusammenhanglos, dass sie nur einzelne Fetzen davon bewusst wahrgenommen hatte. Sie glaubte jedoch, etwas in diesen Bruchstücken gesehen zu haben, was ihr helfen konnte, all die Wirrnisse um ihre Tante zu entflechten. Sie schloss die Augen, legte ihre Hand vors Gesicht und versuchte, in der so entstandenen Dunkelheit dieses eine Fragment zu fassen. Natürlich misslang es ihr. Immer wenn sie etwas bewusst herbeizwingen wollte, entschlüpften ihr die Dinge. Allerdings befürchtete sie gleichzeitig, wenn sie jetzt losließ und der Tag auf sie einstürzte, würde ihr die Erinnerung für immer entgleiten. Dennoch blieb ihr nichts anderes übrig. Sie versuchte sich zu entspannen, nahm die Hände vom Gesicht und beschloss endgültig, auf den Abort zu gehen und sich zu erleichtern.
Auf dem Weg hinaus drehte sie sich noch einmal um und ließ ihre Augen über die spartanische Einrichtung gleiten. Ein Zeichen der Bedürfnislosigkeit des Paters. Dabei fiel ihr Blick auf ein Brevier, das aufgeschlagen auf dem Stehpult vor dem Fenster lag. Ein Büchlein in den neuen Drucklettern, die Seiten ausgefranst vom Aufschneiden der Bögen. Als hätte dieser Blick eine Tür aufgestoßen, wusste Isabella sofort, was sie im Traum so sehr berührt hatte, dass sie davon
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