Die Botschaft Der Novizin
diesem nach innen folgte, berührten sich seine und Isabellas Finger. Er zuckte zurück. Plötzlich wusste er, womit sie es zu tun hatten. Doch Isabella war es, die aussprach, was er dachte.
»Das ist eine Amphore ... vielmehr war es eine!«, sagte sie langsam. »Was tut eine Amphore hier?«
Wie ein Blitz schlug die Erkenntnis der Zusammenhänge bei ihm ein und vermischte sich mit Enttäuschung, denn der Bruchrand ließ ihn eine weitere, eher betrübliche Feststellung schlussfolgern.
»Ihr schweigt, Padre. Wisst Ihr womöglich etwas darüber?« Isabella hatte seine andere Hand losgelassen und tastete mit beiden Händen die Röhre ab. »Sie ist zerschlagen worden!«, ergänzte sie ihre Entdeckung. »Die Ränder sind noch scharf, als wäre es erst kürzlich geschehen.«
Padre Antonio kämpfte mit sich. Sollte er der Educanda die Wahrheit sagen? Die Gerechtigkeit würde es gebieten; schließlich war Isabella es gewesen, die ihn hierhergeführt hatte. Andererseits hatte sie ihm auch nicht in allen Punkten gesagt, was sie wusste.
»Die Amphore hat vermutlich ein Schriftstück enthalten«, begann er stockend, noch immer nicht mit sich im Reinen, ob es richtig war, was er hier tat. »Sie wurde zerbrochen und der Inhalt offenbar entfernt. Womöglich war es das Manuskript selbst; denn Schriftrollen wurden früher häufig in Amphoren transportiert. Aber das hier ist kaum ein Ort, um so etwas Kostbares aufzubewahren. Vielleicht hat man das Evangelium auch längst woandershin gebracht, und die Amphore enthielt nur eine weitere Information über den Ort, wo es verborgen ist ... « Die Worte purzelten über seine Lippen, ohne dass er den Schwall beherrschen konnte. Er merkte, wie seine Knie zitterten.
»Was bedeuten würde, dass sich das Evangelium nicht mehr hier befindet?« Isabellas Feststellung klang wie eine Frage. Enttäuschung schwang darin mit. Nur einen Hinweis hatten sie gefunden, nicht den eigentlichen Gegenstand.
»Wir haben vermutlich so weit den Weg nachvollzogen, den Eure Tante gegangen ist. Hier verliert sich die Spur.«
Mehr als die Dunkelheit belastete ihn die Stille. Worüber dachte Isabella nach?
»Meine Tante hatte einen Geliebten außerhalb des Klosters, den sie regelmäßig im ›Roten Ochsen‹ traf. Kann es sein, dass sie ihm von ihrer Entdeckung erzählt hat? Hatte sie das Manuskript vielleicht schon gefunden?«
Natürlich! Das würde so manches erklären. »Der Bibliothekar! Sie kannte den Bibliothekar!«, entfuhr es dem Pater, und sofort bedauerte er, die Worte ausgesprochen zu haben.
Isabella tauchte ohne ein weiteres Wort unter und verschwand. Hatte sie seinen letzten Ausbruch noch mitgehört? Padre Antonio wandte sich um und beeilte sich, ihr zu folgen. Er stieß sich an der Ziegelwand entlang nach vorn und glaubte zuerst, er würde den Weg nicht schaffen, aufgewühlt wie er war. Doch er erreichte den Kanal, stieg hoch und sog mit gewaltigem Prusten Luft in seine Lunge.
»Isabella?« Der Raum war in das matte Licht der Laterne getaucht, die sie zurückgelassen hatten. Das Licht stach ihm in die Augen. Isabella stand bereits auf der Treppenstufe, noch tropfnass, und zeigte ihm den sanften Schwung ihrer Rückseite in ihrem samtenen Weiß. Sie streifte rasch ihr Habit über. Erst danach wandte sie sich ihm zu.
»Was habt Ihr da von Eurer Tante erzählt?«, fragte er vorsichtig. »Wo wart Ihr nur mit Euren Gedanken, Pater?«, spöttelte Isabella. »Habe ich Euch richtig verstanden? Dass der Klosterschatz, ganz gleich, was in der Amphore war, jedenfalls nicht in diesem Gewölbe versteckt gewesen sein kann?«
Isabellas Stimme klang ruhig und gefasst, und dennoch bemerkte der Pater einen alarmierten Unterton. Er watete zum Ausstieg und kletterte aufs Trockene. Dann griff er sich seine Kleidung und zog sie sich über. »Zu diesem Schluss bin ich gekommen«, antwortete er endlich.
»Wo befindet sich das Evangelium dann?«, fragte Isabella mehr zu sich als zu ihm gewandt.
»Irgendwo hier in diesem Gemäuer. So viel ist sicher«, konnte er nur antworten. »Vielleicht hat Suor Francesca mehr gewusst. Vielleicht hat sie den Schatz woanders verborgen. Wir werden es wohl nie mehr erfahren.«
»Wir müssen hier raus, Pater. Wir haben irgendetwas übersehen. Es kann nicht sein, dass ... « Sie beendete ihren Satz nicht, doch der Pater ahnte, was sie hatte sagen wollen. Es konnte tatsächlich nicht sein, dass es den Nonnen dieses Klosters nicht möglich war, das Rätsel zu lösen. Schließlich war es
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