Die Botschaft Der Novizin
Pater zitterte die Stimme. Wie gut, dass der Bootsführer glaubte, ihm sei weiterhin schlecht.
»Hier vorne, gegenüber dem Kloster«, bestätigte der Gondoliere. Als sich der Pater anschickte, auf den Platz hinauszulaufen, rief ihm der Bootsführer nach: »Soll ich warten?«
Padre Antonio hob die Hand zur Bestätigung. Sagen konnte er nichts mehr. Hier hatte sich also ein Wunder zugetragen. War dies das besondere Ereignis, das Hieronymus Aleander veranlasst hatte, ihn hierher zu beordern? Was immer der Kardinal während seiner Zeit an der Universität in Paris oder als Leiter der Vatikanischen Bibliotheken gefunden hatte, es hatte mit San Lorenzo zu tun. War dieses Wunder der Grund?
»Padre Antonio!«, rief der Gondoliere ihm hinterher. Es war dem Pater unangenehm, da er es nicht schätzte, erkannt zu werden. Gerade in der unmittelbaren Umgebung des Klosterswollte er, zumindest solange er den Nonnenkonvent selbst nicht besuchte, unbemerkt bleiben. Er drehte sich um, eine scharfe Erwiderung auf den Lippen, aber der Gondoliere kam ihm zuvor.
»Geht nur geradeaus! Ihr trefft direkt auf das Grab Marco Polos. Seinen Sarkophag kann man nicht verfehlen. Er liegt hier in San Lorenzo begraben.«
Padre Antonio winkte lachend, dann drehte er sich um, vergaß all sein Unwohlsein, seine noch immer wackeligen Knie und schritt auf die Kirche zu. So, der große Marco Polo lag hier begraben. Der Mann, dessen Reisen als Lügengeschichten angeprangert worden waren, obwohl viele der Berichte in den päpstlichen Archiven ein anderes Bild hätten zeigen können. Sie hätten Messer Polo als rechtschaffenen Kaufmann und ehrbaren Menschen bestätigen können. Getan hatte die Kirche für den Venezianer Handelsherrn nichts.
»Ich bin auf der richtigen Spur«, sagte Padre Antonio mehrmals hintereinander vor sich hin. »Ich bin auf der richtigen Spur.« Er drückte den Türflügel von San Lorenzo auf. Dunkelheit empfing ihn und eine angenehme Kühle nach der beginnenden Hitze draußen. Tatsächlich stach ihm der Sarkophag des Weltreisenden sofort ins Auge. Warum hatte er ihn bei seinem nächtlichen Besuch nicht gesehen? Er hatte die Nonnen hören wollen und war nicht mit offenen Sinnen in diese Welt eingetaucht. Ein Fehler. Das Vorurteil hatte ihm die Augen verschlossen. Er ermahnte sich dazu, den Blick zu weiten.
KAPITEL 6 Isabella wusste sofort, dass jemand in ihrer Zelle gewesen war. Sie blieb an der Tür stehen und blickte sich um. Nichts hatte sich geändert. Die wenigen Gegenstände lagen an ihrem Platz. Die Truhe stand unter dem Bettkasten, wohin sie diese geschoben hatte, und doch wirkte der Raum fremd. Sie sog die Luft ein, und sofort ahnte sie, was ihr dieAnwesenheit einer Fremden verraten hatte. Es war der Geruch der Äbtissin.
Diesmal hatte Isabella jedoch eine Ausrede. Suor Maria hatte sie im Hause herumgeführt. Zwar wollte die Schwester das erst nach der Sext, dem Mittagsgebet, machen, doch sie hatten vereinbart, ihre Abwesenheit vormittags so zu begründen. Das Kloster war schließlich weitläufig.
Isabella schloss die Tür hinter sich, dann setzte sie sich so, dass niemand durch das Guckloch in der Tür sehen konnte, während sie den Brief ihrer Tante las. Er war zwar kein Geheimnis, doch es störte sie dieses Fehlen einer privaten Nische, eines Rückzugsraums, der nicht gestört wurde.
Unauffällig zog sie den Knopf aus ihrer Ärmeltasche und betrachtete ihn. Der Zierknopf bestand tatsächlich aus Silber, in das ein Zeichen eingepunzt war: der Markuslöwe. An den Stellen, die mit dem Stoff in Berührung kamen, wirkte er wie blank poliert und glänzte. An den tieferen Stellen war er gänzlich schwarz angelaufen. Das Motiv war Dutzendware. In Venedig konnte man diese Art Knöpfe an den Jacken wohlhabender Männer oder Frauen finden, sofern sie überhaupt Zierknöpfe trugen. Jedermann konnte den Knopf in den Konvent getragen haben. Sie drehte ihn um und entdeckte an der Öse einen seidenen Faden. Das wiederum war ein Hinweis, den man nicht unterschätzen durfte. Seidenes Nähgarn benutzten nur Wohlhabende.
Isabella sah sich im Raum um. Wo konnte man hier etwas verbergen, ohne dass ein zufälliger Betrachter den Gegenstand sofort sah? Über der Tür trat der hölzerne Sturz vor und bildete eine Art Sims. Dort konnte sie den Knopf verbergen. Sie spähte zuerst aus der Tür, ob jemand sich im Gang befand. Als dies nicht der Fall war, holte sie sich den Hocker, stieg rasch hinauf, legte den Knopf ab und stellte alles
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