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Die Botschaft Der Novizin

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Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Leben etwas schweben musste, das diese Zartheit der Gefühle gewollt und hervorgebracht hatte.
    »Jetzt ist das Chorbuch aufgeschlossen und die Frauen singen Lieder, die seit der Gründung des Konvents gesungen werden«, hauchte Suor Maria, die mindestens ebenso gefangen war vom Einklang der Stimmen.
    Dann riss sie sich los, strich noch einmal über das Blatt und begann zu sprechen. So leise, dass Isabella sich dicht neben sie stellen musste, um ein Wort zu verstehen.
    »Einigen Wörtern fehlen Buchstaben. Man könnte tatsächlich an Flüchtigkeitsfehler glauben, so zufällig sind sie über das Blatt gestreut. Aber es sind immer die Anfangsbuchstaben; solche Fehler macht niemand aus Flüchtigkeit. Deine Tante hat vermutlich nicht viel Zeit besessen, doch die Idee ist gut genug gewesen, die Äbtissin zu täuschen.« Jetzt lachte Suor Maria, und Isabellas Neugier war entfacht. »Sie wollte dich leiten: Suche – und du wirst finden. Finde – und du wirst wissen.«
    »Was meinst du mit )Man erkennt eine Absicht‹?«
    »Ich meine nicht, ich lese nur. Und zwar ergibt sich, wenn man die fehlenden Buchstaben als ein Wort liest ... « Jetzt hatte auch Isabella Feuer gefangen. Sie schob Suor Maria beiseite, glättete den Bogen und begann die Wörter mit den fehlenden Buchstaben zu suchen und die Lettern zu einem Wort zusammenzufügen. Als sie geendet hatte, fuhr sie auf.
    »Hast du es verstanden?«, fragte Suor Maria.
    Isabella nickte. Die fehlenden Buchstaben ergaben ein Wort – clavis .
    »Was bedeutet es?«, flüsterte Isabella. Sie fühlte, wie ihr ebenfalls heiß wurde und auch sie Flecken am Hals bekam.
    »Das ist lateinisch für )Schlüssel‹«, sagte die Nonne. »Ich muss darüber nachdenken.« Sie faltete den Brief der Tante zusammen und wollte ihn einstecken, doch Isabella hielt die Hand hin.
    »Es ist mein Brief!«, sagte sie nur.
    Suor Maria zögerte. Zuerst wollte sie das Papier offenbar nicht herausgeben, doch die Geste Isabellas wirkte zwingend und sie selbst entschlossen. »Es ist vielleicht besser so«, bemerkte sie schließlich und reichte das Schreiben an Isabella zurück.
    »Warum tut Ihr das, Suor Maria? Welches Interesse habt Ihr an dieser Sache?«
    »Ich glaube, dass deine Tante einer Sache auf der Spur war, die so ungeheuerlich ist, dass man es nicht auszusprechen wagt und schon gar nicht alleine tragen kann.«
    »Ein Geheimnis!« Isabella fühlte einerseits ein Kribbeln. Wenn es ein Mysterium war, konnte es für den Tod ihrer Tante verantwortlich gemacht werden? Andererseits bestand die Welt aus lauter Geheimnissen, sodass die Spottlust sie erfasste und sich unüberhörbar in ihrer Stimme einnistete. Jetzt hätte sie wohl nach dem sogenannten Geheimnis fragen sollen. Sie interessierte sich jedoch nicht für die Heimlichkeiten und das Gerede der Nonnen.
    »Deine Tante hat mir aufgetragen, nach dir zu sehen, sollte ihr etwas zustoßen. Als hätte sie es geahnt.«
    Beide Frauen schwiegen und sahen sich an. Isabella überlegte, welcher Art die Gefühle waren, die sie für Suor Maria empfand. Die Nonne flößte ihr Vertrauen ein. Ihr freundliches Wesen war eine Wohltat in ihrer Situation, und die Fröhlichkeit, die die Ordensfrau verströmte, zog sie an. Sie fühlte eine Gemeinsamkeit, die sie nicht erklären konnte, die jedoch zukünftig eine wahre Freundin versprach. Doch war sie sich unsicher darin, inwieweit sie der Nonne trauen durfte. Jetzt bereits trauen durfte. Schließlich kannte sie niemanden sonst, der sich ihrer annahm. Sie entschloss sich zu einem Kompromiss: Sie würde ihr vieles, jedoch nicht alles anvertrauen. »Was schlagt Ihr vor, Suor Maria. Was sollen wir tun?«
    »Den Mund halten und nachprüfen, was Suor Francesca uns mit dem Wort ›Schlüssel‹ mitteilen wollte.« Sie zwinkerte ihr zu. »Und jetzt sehen wir uns das Kloster an.«

KAPITEL 7 Der Klosterkomplex war weitläufiger, als Isabella gedacht hatte, und schon bald hatte sie die Orientierung verloren. Außerdem begegneten ihr die wunderlichsten Dinge. Auf den Gängen des zweiten Nonnentrakts liefen ihnen Hühner über den Weg. Nicht drei oder vier, sondern insgesamt etwa vierzig. Ein Gegacker und Geschnatter erfüllte die Luft ebenso wie der durchdringende Geruch nach Hühnerkot.
    »Unsere Schwestern verkaufen einen Teil der Eier an die Klosterküche. Den anderen Teil verbrauchen sie selbst«, kommentierte Suor Maria Isabellas erstaunte Nachfrage.
    »Verkaufen?«, staunte Isabella. »Gehören die Hühner nicht dem

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