Die Botschaft Der Novizin
bluten. Ihr habt die unruhigen Zeiten für Euch ausgenutzt, habt den beiden Frauen Hoffungen gemacht, wo es keine Hoffnung gibt – und wolltet sie dann mit Hilfe der Galeotti beseitigen lassen. Für Geld machen die Menschen alles«, warf die Äbtissin ein und spuckte auf den Boden, doch der Patriarch schwieg. Aus seinem Gesicht sprach derselbe blasierte Hochmut, den der Pater bereits kennengelernt hatte.
»Anna ... «, hauchte die Priorin, als sie in der Tür ihre Tochter erkannte, »... bitte, verzeih mir!«
Alle wandten den Kopf in Richtung Tür. Suor Anna starrte Signora Artella mit rot unterlaufenen Augen an, bis sie die Antwort flüsterte: »Niemals, Mutter, niemals!«
E PILOG
Isabella hatte lange gebraucht, bis sie den Verdacht von ihrem Vater hatte nehmen können. Er war tatsächlich ein Unschuldiger gewesen. Jedenfalls im letzten Akt dieses Dramas.
Als sie ihn neben dem Patriarchen gesehen hatte, waren ihr die vielen beinahe unscheinbaren Zusammenhänge plötzlich klar geworden, als hätte man ihr einen Schleier von der Welt gezogen. Natürlich hatte er mit seiner Schwester in Kontakt gestanden; natürlich hatte er darauf bestanden, sie, Isabella, als Handlangerin der Schwester ins Kloster zu holen; natürlich kannte er auch Julia Contarini und Signora Artella, und selbst der Kontakt zum Bibliothekar war nur allzu naheliegend. Schließlich wohnte der in ihrem Quartier ganz in der Nähe der Offizin, und beide hatten sie mit Büchern zu tun.
Was allerdings den Patriarchen dazu veranlasst hatte, nach dem Manuskript zu suchen, hatte sie nicht sofort verstanden. Doch dann war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen. Querine hatte sich nie mit seinem Los abfinden können. Er war Patriarch und nach dem Papst einer der höchsten kirchlichen Würdenträger der Christenheit – und er residierte als Anhängsel am Rande der mächtigsten Stadtrepublik aller Zeiten. Hätte er das Manuskript in Händen gehalten, wäre er nicht nur von Rom, sondern auch von Venedig respektiert worden. Er wäre ein Großer geworden.
Dass Signora Artella und der Patriarch fähig waren, Menschen
um ihres Vorteils willen zu töten, hatte sie erschüttert und ihrbuchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Pater und Marcello hatten sie mehr oder weniger ins Äbtissinnenzimmer tragen müssen, wo sie jetzt vor Suor Immacolata saß, die sie mit einem undurchdringlichen Blick ansah.
»Was geschieht mit ihnen? Mit dem Patriarchen und ... und Signora Artella?«
Die Äbtissin lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Was soll geschehen? Nichts natürlich. Glaubt Ihr, der Patriarch wäre anzuklagen? Habt Ihr schon einmal erlebt, dass ein Verbrechen, das im Namen der Mutter Kirche begangen wurde, gesühnt worden wäre? Sie werden beide eine Absolution von höchster Stelle erhalten. Schließlich gibt es nicht einmal mehr die Leichen der Opfer, um sie eines Mordes zu überführen. Sie werden weiterleben als unbescholtene Diener im Namen Gottes. Der Patriarch, Signora Artella und«, mit einer verächtlichen Geste deutete sie in die Richtung, in die der Geistliche den Raum erst kürzlich verlassen hatte, »dieser Pater aus Rom!«
Wie recht die Äbtissin hatte und wie sehr Isabella das zuwider war, weil es ihr Empfinden für eine Gerechtigkeit verletzte, die sich nicht erst im Jenseits erfüllen sollte.
Die Äbtissin sah sie durchdringend an. »Ihr solltet Euch entscheiden, Isabella. Jetzt!«
Zwischen ihnen stand das Metallkästchen, das den Papyrusbrei enthalten hatte. Der aufgelöste Papyrus lag in einer Schale, völlig zerstört und damit unleserlich. Für Padre Antonio war das Manuskript wertlos geworden. Isabella hatte noch gesehen, wie die Äbtissin den Bronzebehälter mit ungerührter Miene entgegengenommen und ihn sich unter den Arm geklemmt hatte.
Isabella öffnete den Mund, um ihre Antwort zu formulieren, doch die Äbtissin schnitt ihr mit einer weichen Bewegung das Wort ab.
»Lasst mich noch eines sagen. Wir, die Custodes Dominae, sindwenige geworden. So wenige, dass wir befürchten müssen, unserer Aufgabe nicht mehr gerecht zu werden.«
»Aber ...«, unterbrach Isabella nun doch die Rede der Äbtissin, obwohl sie sich die Hand vor den Mund hielt.
»Nur zu, dein Widerspruch kommt aus dem Herzen.« Suor Immacolata lächelte sanft, doch ihre Augen musterten sie wachsam. Der Brandgeruch, der immer noch in ihren Kleidern hing, stand in harschem Gegensatz zu ihrer mütterlichen Art.
Isabella deutete auf
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