Die Botschaft Der Novizin
das Papier. Fasziniert beobachtete der Pater die geschickten Bewegungen des Handwerkers. Tatsächlich schienen die innersten Rollen von der Feuchtigkeit unberührt oder zumindest nicht allzu sehr beschädigt zu sein. Doch jedes Mal, wenn ein wenig Schrift freigelegt wurde, zerflossen die Buchstaben. »Es ist Griechisch!«, keuchte der Handwerker. »Ich kann Wörter lesen: Sohn , Lüge , Alter , nichts ...«, stieß der Handwerker her-vor.
Neugierig geworden näherte sich der Pater wieder, versuchte dem Mann über die Schulter zu schauen.
»Dort, ein Satz: ... hat ihn angenommen wie den eigenen ... «, jubelte Marosini und wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus den Augen. »Hier wieder: ... meine Seele gebietet ... Wahrheit ... «
»Ihr fantasiert«, unterbrach ihn der Pater. Er konnte überhaupt nichts erkennen, geschweige denn lesen, außer zerfließender Tinte, die ebenso gut Flecken auf dem Papyrusbrei sein konnten. »Das Manuskript ist zerstört!«
Isabella in seinem Rücken schlug mit der Hand immer wieder gegen die Mauer. Ob aus Wut oder Verzweiflung, konnte er nicht sagen, doch das Geräusch zerrte an den Nerven.
Als er sich zu ihr umdrehte, sah er nur, wie blass sie war undwie ungläubig ihr Blick zwischen dem zerstörten Manuskript, dem Patriarchen und ihrem Vater hin und her wanderte.
»Tragt den Papyrus in den Innenhof!«, befahl der Pater. »Am besten zusammen mit dem Tisch. Er muss trocknen. Vielleicht lässt sich doch noch mehr Lesbares aus dem ... dem Brei hier herausfiltern! Hört auf, ihn zu zerfleddern!«, fuhr er Marosini an.
Eine Stille breitete sich aus, die wie eine Bleidecke auf der Szenerie lastete. Niemand rührte sich. Der Patriarch hatte bislang nichts gesagt, und auch Isabellas Vater bewegte sich nicht mehr. Nur sein Messer hielt er in der Hand, als wäre er bereit, sofort zuzustechen.
»Habt Ihr nicht gehört, Padre, Messer Marosini, was ich gesagt habe?« Die Stimme stammte von Signora Artella. Es fiel ihr schwer zu sprechen. Jedes Wort musste ihr Schmerzen bereiten, denn mit der einen Hand hielt sie sich den Kopf, mit der anderen stützte sie sich am Türrahmen ab. »Das Manuskript gehört dem Kloster, nicht Euch. Es bleibt, wo es ist.«
»Das Manuskript gehört der Kirche«, zischte sie der Pater an und drehte sich zu ihr um. »Die Benediktinerinnen sind ein Orden der heiligen römischen Kirche, deren Vertreter als Nuntius des Papstes ich bin. Und ich sage Euch, dieses Manuskript – oder was davon übrig ist – gehört Rom.« Er hatte leise gesprochen. Was fiel dieser Nonne ein, seine Befehle zu missachten?
Padre Antonio drehte sich um, doch da stand nicht nur Signora Artella im Raum, sondern eine ganze Reihe von Frauen, die er zum ersten Mal gesehen hatte, als sie den Sarg Suor Francescas nach Torcello gebracht hatten. Alle verschränkten sie die Arme vor der Brust und bildeten eine Art Wall vor der Türöffnung. Ihre Entschlossenheit, ihn mit dem Papyrus nicht auf den Hof hinauszulassen, war deutlich.
»Padre Antonio, habt Ihr Euch schon einmal überlegt, warum dieses Kloster San Lorenzo heißt und nicht Santa Maria?« SignoraArtella lächelte ihn an. Eine kurze Pause entstand, die jedoch nicht dazu dienen sollte, ihm die Antwort zu erleichtern oder nachzudenken. »San Lorenzo verteilte das Vermögen der Kirche unter die Mitglieder seiner Gemeinde. Sie war ihm Kirchenschatz genug. Diesem Ideal sind wir verpflichtet. Das Manuskript gehört den Custodes Dominae! «
Der Pater sagte nichts, denn im Gang vor dem Amtszimmer, wo die Chornonnen warteten, erhob sich ein Gemurmel. Die Tür öffnete sich, und eine weitere Nonne schob sich in den Raum. Begleitet wurde sie vom unrhythmischen Klacken eines Holzstocks: Suor Immacolata. Sie atmete schwer, und ihrem Habit entströmte ein Brandgeruch, der langsam den Raum füllte. Isabella erspähte auf ihrem dunklen Habit noch dunklere Flecken: das Blut ihres Schwagers, des Bibliothekars.
»Ehrwürdige Mutter!«, entfuhr es sogar dem Patriarchen. Der schien in seinem Stuhl zu versinken.
Der Drucker Marosini ergänzte ebenso verblüfft: »Ihr ... was tut Ihr hier?«
Spöttisch betrachtete die Äbtissin den Patriarchen und den Handwerker. »Oh, ich lebe noch, wenn Ihr das meint, Marosini.« Sie humpelte bis in die Mitte des Raumes und streckte die Hand aus. »Gebt sie mir!«, sagte sie nur und winkte mit den Fingern.
Der Patriarch wollte sich erheben, doch die Äbtissin herrschte ihn an. »Bleibt sitzen, Eminenz.« Sie sprach
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