Die Botschaft Der Novizin
mindestens genauso groß ist wie ihre Dummheit.«
Der Alte lächelte schmal. »Ihr seid auf dem Weg, ein weiser Mann zu werden. Doch habt Ihr noch den Blick des jugendlichen Jägers und noch nicht die Abgeklärtheit des Alters.« Er hielt für einen Augenblick inne. »Ich kann verstehen, dass Aleander Euch beauftragt hat.«
Die Nennung des Namens gab Padre Antonio die letzte Gewissheit, dass er sich hier am richtigen Ort befand. Dazu hätten aber auch die Schätze in dieser Sammlung allein schon ausgereicht. Die Papierbündel und Texte, die er sah, verschlugen ihm die Sprache. Manuskripte in lateinischer Sprache, in Griechisch, Hebräisch, Aramäisch, koptische Manuskripte, dazu Übersetzungen, arabische Textstoffe und Blätter aus Papyrus mit geheimnisvollen Symbolzeichen stapelten sich übereinander, stützten sich gegenseitig und staubten vor sich hin.
»Seit der Völkerwanderung«, sagte der Alte, »seit der Bedrohung durch die Mongolen und seit der Eroberung Konstantinopels schwemmt es Tausende und Abertausende von Manuskripten nach Westen. Sie werden weggesperrt, verschwinden in Bibliotheken, auf Dachböden und in Kellern und finden, wenn sie denn wiederentdeckt werden, oft genug den Weg in die Öfen. Was Ihr hier seht, ist ein bescheidener Rest.«
Mit offenen Nüstern, wie ein witterndes Tier, ging der Pater durch die Reihen und die Regale entlang. Den Pergamenten entströmte ein eigener Geruch, der sich aus Verwesung und Dauer mischte. Dazu der Duft gallsaurer Tinte. Am liebsten hätte er in so manchen Folianten hineingebissen, um sich all das auch körperlich einzuverleiben.
»Ihr habt wichtige Werke der lateinischen Autoren wiederentdeckt, wurde mir gesagt: Cicero, Horaz, Sueton, aber auch Griechen wie Empedokles, Aristoteles, Anaximenes?«
Über einem der Stapel schwebte der kahle Schädel des Alten. Padre Antonio sah von hinten, wie er vor-und zurückpendelte.
»Vieles davon ging durch meine Hände und wurde weitergereicht an die neue Welt, die sich der Wiedergeburt der Antike verschrieben hat. Das Ende des Oströmischen Reiches war ein Segen für das Abendland. Wie ein Strom ergoss und ergießt sich die Antike noch immer gen Westen. Doch meine Aufgabe ist nicht die der Rettung, meine Aufgabe ist die der Entdeckung und Verwahrung.«
Padre Antonio sah zur Decke. Dort prangte ein Apoll, der sich mit seiner Leier auf einen Hügel gesetzt hatte und eben einen neuen Ton anstimmte. Hinter ihm begann sich das Gewölk aus Ehrfurcht vor dem Gesang des Gottes zurückzuziehen, und die Sonne ging auf.
Diese neue Orientierung der Wissenschaft und der Wissenschaftler sei der Grund für sein Hiersein, bestätigte der Pater. Schließlich gebe es Werke, deren Veröffentlichung dem Bild der Kirche Schaden zufügen könnte. Was, wenn plötzlich Werke auftauchten, die das Leben des Herrn oder seine Botschaft, so wie die katholische Kirche sie seit alters her überliefere, in Zweifel ziehen würden? Wem sollte man recht geben, den Manuskripten oder den Kirchenvätern? Daher müssten solche neuen Entdeckungen geprüft werden, bevor sie der Menschheit ausgesetzt werden dürften.
»Wer den Unverständigen zu lesen gibt, wirft nur Perlen vor die Säue«, pflichtete der Alte ihm bei. »Bewahren ist besser als Vergeuden.«
»Dann habt Ihr etwas für uns?« Padre Antonio war bewusst, dass diese Frage zu schnell gekommen war. Er ließ sich häufig zu sehr mitreißen, eine der Stärken seines Charakters und zugleich eine unverzeihliche Schwäche. Diesmal hatte sein Übereifer ihm geschadet.
Padre Antonio sah den Sammler nicht, da dieser sich im Augenblick in einem Gang hinter ihm befand, doch er spürte, wie er lächelte.
»Wenn Ihr etwas für mich habt ... «, hörte er den Alten sagen.
Padre Antonio ließ seinen Blick über ein Regal gleiten. Handschriften lateinischer oder griechischer Autoren, Messbücher, Bibeln oder andere, für die heutige Zeit so wichtige Schriften. Als er sich an die leuchtenden Augen Hieronymus Aleanders erinnerte, an den Wissensdurst und die Erwartung, die darin gestanden hatten, musste er selbst tief durchatmen. Der Bibliothekar war ein Humanist. Zu sehr in seinen Büchern vergraben, um für die Gegenwart tauglich zu sein. Aber ein Mann, den man mit jedem neu gefundenen Manuskript in Versuchung führen konnte.
Doch auch er selbst gierte nach neuen Funden. Alte Klöster bewahrten oft unvorstellbare Schätze in ihren Räumen. Ein neues Tacitus-oder Cicero-Manuskript, die vergessene Schrift
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