Die Botschaft Der Novizin
diesem Mönch, diesem Luther.«
Isabella musste schlucken. Ein Kribbeln befiel sie. Diese deutsche Nonne hatte Mut bewiesen, viel Mut. Sie hatte sich einerOrdnung entzogen, die sie als unmenschlich empfand – wenn es diese Frau tatsächlich gab und sie nicht dem Wunschdenken einer unbedeutenden venezianischen Ordensschwester entsprang. Diesen Mut musste sie selbst erst noch finden. Sie dachte an die Novizin Contarini mit ihrem verschleierten Blick und schließlich an Marcello und empfand einen Stich direkt unterhalb ihrer linken Brust, so stark, dass sie sich krümmte. »Mein Gott«, entfuhr es Suor Maria, »jetzt schleppe ich dich seit Stunden durch das Kloster. Du wirst Hunger haben. Komm, wir werden uns Äpfel holen. Das Refektorium ist bis zum Abend geschlossen.« Suor Maria führte Isabella wieder in den hinteren Klosterteil zu einem Haus, das von weitem bereits roch wie ein Obstgarten. Es war ein wenig tiefer gelegen als die restlichen Gebäude, als wäre es mit den Jahren versunken. Doch als sie es betraten und dafür ein paar Stufen hinabsteigen mussten, erwies sich das Bodenniveau als trocken. Man konnte also durchaus kellerartige Räume anlegen, ohne dass diese gleich voll Wasser liefen. An der Wand entlang zogen sich Bretterregale, mindestens zehn Meter lang, mit jeweils fünf Ebenen, auf denen dicht an dicht Äpfel lagerten.
»Unser Obstlager. Wir dürfen einzelne Früchte nehmen, wenn sie leicht angefault sind. Das schützt die anderen. Auch das ist eine Aufgabe, die du übernehmen wirst, zusammen mit mir. So manche Mitschwester würde sich ärgern, wenn sie erfahren würde, dass du das Obst auslesen darfst.« Sie ging die Reihe entlang und spähte auf die Apfelbretter. Es war kühl im Raum, erheblich kälter als in den übrigen Gebäuden. Offenbar verdunstete doch Wasser an den tiefer gelegenen Lehmwänden und verschaffte dem Raum so die nötige Kühle.
Suor Maria griff nach zwei Äpfeln. Sie waren rot und rund und gesund. Einen davon gab sie an Isabella weiter.
»Was hatte der Mann im Kloster zu suchen?«, fragte Isabella unvermittelt und hielt Suor Marias Arm fest. »Kein männliches Wesen darf einen Frauenkonvent betreten. Das weiß selbst ich.«
Suor Maria erwiderte den Blick. »Ich sagte es doch schon, es gibt Frauen, die nicht freiwillig hier sind. Mehr, als du dir träumen kannst. Warum sollten sie auf die Freuden des Lebens verzichten?« Den letzten Satz sprach die Nonne scharf und so, dass sie nicht missverstanden werden konnte. »In der Heiligen Schrift steht nichts davon, dass wir verdorren sollen, nur weil die Männer in unseren Familien es so wünschen.«
Isabella biss in ihren Apfel. Sie kämpfte mit sich, ob sie aussprechen sollte, was sie dachte. Wenn dieser Hofstätter in das Kloster kam, dann konnte ein Fremder ebenso gut hineingelangt sein und die Tante bedrängt oder womöglich getötet haben. Sie wechselte dennoch das Thema.
»Erzählt mir, Schwester, was meine Tante für ein Mensch gewesen ist. Bitte«, fügte sie noch an.
»Oh, Suor Francesca war ein wenig eigen. Sie hatte zwar ausreichend Mitgift mitgebracht, doch eine Conversa konnte sie sich nicht leisten. Sie nahm an allen Gebeten und Bußübungen teil, doch man spürte, dass sie nicht aus Überzeugung in den geistlichen Stand getreten war. Nur gesungen hat sie für ihr Leben gern. Man fand sie allzeit im Nonnenchor. Das Neumenbuch war ihr ans Herz gewachsen. Ich glaube, wenn Schwester Ablata ihren Dienst als Wahrerin des Chorbuches unseres Konvents nicht mehr hätte verrichten können, was bei ihrem Alter abzusehen ist, dann wäre Schwester Francesca ihr nachgefolgt.«
Da war nichts, was Isabella nicht schon wusste. Ihre Tante hatte die Musik geliebt, hatte selbst Flöte und Laute gespielt und dazu mit einer bezaubernden Stimme gesungen. Oft hatten sie im Besucherzimmer gemeinsam Volkslieder geträllert, aber auch Geistliches, sofern Isabella Melodie und Text geläufig waren.
»Das sind keine Interessen, die einen Tag ausfüllen, wenn man in Gebet und Versenkung keine Ruhe findet«, bemängelte sie. »Einer weiteren Beschäftigung ging sie noch nach. Sie erforschte die Baugeschichte des Klosters«, fuhr Suor Maria zögerlich fort.
»Was heißt das?«, drängte jetzt Isabella. Endlich fand sich etwas Außergewöhnliches in diesem Nonnenleben.
»San Lorenzo ist sehr alt. Beinahe siebenhundert Jahre steht es schon hier. Immer wieder wurden Gebäude angebaut, abgerissen, erweitert, neue Häuser auf alten Fundamenten
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