Die Botschaft Der Novizin
errichtet. Sie kannte sich in diesen Mauern besser aus als die Äbtissin.« Suor Maria senkte die Stimme und zog Isabella in den Schatten. »Sie hat sogar Geheimgänge entdeckt. Vermutlich hinter Wänden, die beim Umbau alter Gebäude stehen gelassen und vermauert worden sind. Später hat man dort Türen gebrochen und die Gänge als Abkürzungen verwendet, weil es praktisch war.«
Isabella hatte Feuer gefangen. »Kennt Ihr einen solchen Geheimgang?«
Suor Maria zögerte, doch dann nickte sie. »Deine Tante hat mir einen der Gänge gezeigt, weil ich ihr nicht geglaubt habe. Sie hat es wohl aus Trotz getan.«
Die beiden Frauen nahmen sich an den Händen, und Suor Maria zog Isabella hinter sich her. Sie liefen zum Kreuzgang zurück, dorthin, wo die Tür in den Gang zum Refektorium abging. Sie betraten die Verbindung, die schmal und eng war, sodass gerade einmal zwei Personen nebeneinanderher gehen konnten. Der Gang selbst war mit Teppichen ausgehängt, die ihn zwar heimeliger gestalteten, doch gleichzeitig das Gefühl vermittelten, als wollte man hinter den Wandbehängen etwas verbergen. Tatsächlich verhielt Suor Maria an einer Stelle ihren Schritt, an der zwei Teppiche sich überlappten.
»Dahinter liegt ein Gang?«, fragte Isabella leise. Gleichzeitig schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. »Braucht man einen Schlüssel, um ihn zu öffnen?«
»Nein«, erwiderte Suor Maria. »Man muss allerdings wissen, wo genau er sich befindet, sonst verfehlt man ihn. Zieh den Kopf ein. Bleib dicht hinter mir. Und sei absolut still.« Rasch blickte Suor Maria nach links und rechts, dann hob sie den vorderenTeppich an, schlug den zweiten auf und trat in eine Öffnung dahinter. Isabella folgte ihr. Sie standen eng nebeneinander. »Man muss die Teppiche in Ordnung bringen, damit keinem auffällt, dass jemand dort durchgeschlüpft ist«, flüsterte sie beinahe unhörbar. Dann verstummte sie, denn die Tür zum Refektorium wurde geöffnet und Schritte hallten im kurzen Gang nach. Es war ein unregelmäßiges, schleppendes Geräusch.
»Die Äbtissin«, flüsterte Suor Maria, als das Geräusch weit genug entfernt war. »Nur sie zieht das Bein so nach.«
Erst als die Tür hinaus zum Kreuzgang zugefallen war, spürte Isabella, wie sich Suor Maria in der absoluten Dunkelheit der Nische unter dem Teppich wieder bewegte. Sie schlüpfte aus der Nische hinaus und lief in die Richtung, in die sie die Äbtissin hatten verschwinden hören. Drei Schritte weiter begann der Gang. »Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, hat mir Suor Francesca erzählt. Wer die Nische findet, glaubt, der Gang sei entdeckt. Allerdings wird er enttäuscht. Nur wer sich weiterzugehen getraut, wird den tatsächlichen Durchgang finden.« »Und wo endet er?«
»Du wirst es sehen, Isabella – und riechen.«
Isabella kam es vor, als würde die Dunkelheit etwas nachlassen und einem Grau weichen. Die Augen gewöhnten sich an das Dämmerlicht. Sie tasteten sich dennoch in einer beinahe undurchdringlichen Finsternis voran, stolperten zwei Stufen hinauf und standen endlich vor einer hölzernen Tür.
Isabella wusste sofort, wo sie waren. In den Geruch nach Feuchtigkeit und Moder, den der Gang verströmte, mischte sich der von frischem Brot. Auch waren die Geräusche der Backstube zu hören: das Klatschen des Teigs, aus dem Brot gefertigt wurde, das Wuchten und Schieben, mit dem die fertigen Brote in den Ofen geschoben wurden. Isabella spürte, wie Suor Maria sie an den Schultern nahm und zu einer Öffnung dirigierte, durch die man hindurchblicken konnte. Es war ein zufälliges Astloch in der Rückseite einer Wand. Töpfe und Pfannen hingen an Hakenund nahmen ihr einen Teil der Sicht. Dennoch konnte Isabella gut Suor Anna beobachten, wie sie mit einer langen Brotschaufel die fertigen Laibe aus dem Schlund des Backofens holte und die ungebackenen Teigballen hineinschob. Sie schwitzte bei ihrer Körperfülle und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nach jedem Brot musste sie kurz innehalten und ihre Arme in die Hüfte stützen. Sie stand breitbeinig und schwer atmend da, bevor es weiterging. Zuvor nahm sie eine Art Rechen, dessen Zinken allerdings aus einem einzigen breiten Holzbrett bestanden, und stocherte damit in der Glut herum, schob Holzkohle beiseite und zog den Schieber wieder zurück. Erst dann verschwand das nächste Brot hinter der eisernen Tür. Isabella sah genau, wie die Schwester mit der rechten Hand die Tür schloss und sich dann die Hand an der Schürze
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