Die Botschaft Der Novizin
Custodes Domini auf sich hatte? Ahnte er es nur? Eine Antwort darauf mochte irgendwo in den Schriften verborgen liegen, die sich um ihn her auftürmten. Doch er selbst würde sie darin niemals finden.
Auf dem Stuhl lag seine Urkunde. Er hob sie auf und steckte sie wieder zu sich.
Hieronymus Aleander hatte ihn gewarnt. Der Alte sei flüchtiger als der Nebel in der Stadt. Man dürfe ihn niemals aus den Augen lassen. Jetzt war es geschehen. Doch noch hatte der Alte keine Forderung gestellt, also würde er wieder von ihm hören, denn auch das hatte ihm der Kardinal zugeflüstert, den Bibliothekar treibe eine Gier. Die Gier nach Anerkennung und Ruhm. Eine profane Gier nach Geld wäre Padre Antonio lieber gewesen; sie war leichter zu befriedigen. Aber selbst der Ruhm hatte einen Preis und einen Namen – und wenn er darüber nachdachte, hatte er den Alten bislang noch nicht einmal nach seinem Namen gefragt.
KAPITEL 11 Isabella starrte in die Dunkelheit ihrer Zelle und lauschte auf die fremden Geräusche um sie her. Sie konnte kein Auge schließen, obwohl der Tag sie erschöpft hatte. Alles war so neu und unbekannt gewesen – und die Aufregung über den Tod der Tante wühlte in ihr.
Die Balken ächzten, weil die Last des Tages und die Zumutung venezianischer Hitze von ihnen genommen waren. Es knackte und surrte und klopfte. Der Holzwurm verrichtete nagend seine Arbeit und gab dadurch einen Grundton an, der allen anderen Geräuschen unterlegt war. Sie vernahm das Schnarchen einer der Schwestern, das Hin-und Herwälzen der Nonne in der Zelle zur Linken. Es war Schwester Anna, die Bäckerin.
Sie war mit ihr zusammen auf ihre Zelle gegangen. Sie hatten sich stumm zugenickt, als sie sich für die Nacht verabschiedeten. Auf der anderen Seite betete Suor Maria, und ihr Murmeln drang in Isabellas Bewusstsein. Es war ein merkwürdiges Vibrieren, das die Finsternis des Klosters durchdrang, als hätte man eine Saite in die Zeit gespannt und würde mit einem Bogen daran streichen.
Das feine Klopfen wäre beinahe in den Geräuschen der Nacht untergegangen, so nahtlos fügte es sich in die universale Unruhe. Isabella drehte den Kopf. Zuerst glaubte sie, einer Sinnestäuschung erlegen zu sein, doch dann schloss sich an das Klopfen ein Rascheln und Rutschen an, das unüberhörbar war und sich nicht in das allgemeine Getöne fügte. Es drang direkt aus der Zelle Suor Marias zu ihr herüber und zwang ihr Ohr, auf die Laute nebenan zu lauschen. Das Gebet der Nonne verstummte unvermittelt, was Isabella die Konzentration auf die Vorgänge in der Zelle erleichterte. Nur das Schnarchen von gegenüber störte weiter.
Hatte sie zuvor nicht schlafen können, obwohl Erschöpfung und das dumpfe Gewühl ihrer Gefühle sie niederhielt, mischten sich jetzt Geräusche und Fantasie zu einem wirren Bild und hielten sie wach.
Was geschah in der Nachbarzelle? Anscheinend war jemand dort eingetreten. Das war nicht allzu schwer zu erraten gewesen; schließlich gab es an keiner der Zellentüren einen Riegel, und die dumpfen Schritte der Person hatten sie verraten. Isabella richtete sich auf, um die Geräusche besser zuordnen zu können. Offenbar unterhielten sich die beiden Schwestern nebenan. Isabella unterschied eine relativ hohe Stimme. Das war die Stimme Suor Marias. Die zweite lag tiefer. War es Signora Artella, die da sprach, oder vielleicht gar ein Mann?
Ein Disput entspann sich, in dem die zugleich wütende und ängstliche Stimme Suor Marias von der dunkleren überlagert wurde. Isabella konnte jedoch keine deutlichen Worte vernehmen.Die Wände verschluckten den Sinn. In Abständen schlug die Bank gegen die Mauer, wenn jemand davon auffuhr oder sich darauf niederließ. Es klang wie das Einschlagen eines Nagels. Die Stimmen wirkten erregt, als würden sich die beiden streiten. Dann wurde es ruhiger, die Streitenden schienen sich geeinigt zu haben. Zweimal noch hörte Isabella das feine, harte Schlagen, dann wurde es nebenan ruhig.
Im ersten Augenblick glaubte Isabella, jetzt müsse die Gebetslitanei der Schwester wieder einsetzen, doch es blieb still. Geradezu gespenstisch still.
Eine Unruhe, die sie nicht beschreiben konnte, befiel Isabella. Mit dem Rücken zur Wand horchte sie in die Stille hinüber, doch diese wich zurück und hinterließ nur eine dunkle Leere, die Isabella schaudern ließ.
Ihr fröstelte – und dennoch musste sie eingeschlafen sein, denn die Glocke zu den Vigilien weckte sie gleichzeitig mit einem Klopfen an der Tür.
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