Die Botschaft Der Novizin
mir mit, bevor er mich aus dem Haus warf, er wisse von keinem Schlüssel.«
Isabella entfuhr ein kleiner Schrei. »Aber du hast doch ...« Ihre Finger umkrampften das Eisengitter. Durch die Öffnungen hindurch suchte sie nach Marcellos Gesicht, um daraus zu lesen. Das Flechtwerk zerteilte die Mimik ihres Liebsten zu einem nur schwer deutbaren Mosaik.
»Lass mich ausreden!«, fuhr er fort. »Ich stand schon auf der Straße, da rief er mich zurück. Diesmal freundlich und nett, wie ich ihn sonst gar nicht kenne. Er bat mich erneut herein und versuchte mich auszuhorchen. Doch ich wusste von dir nur, dass es um einen Schlüssel ging. Mehr nicht. Da zog ermich an sich und flüsterte mir ins Ohr, du solltest den Schlüssel verbergen, wenn du ihn fändest. Außerdem solltest du darauf achten, welche Zeichen der Schlüssel besitzt. Darauf käme es wohl an.« Marcello stockte.
»Weiter. Was hat er sonst noch gesagt?«, bohrte Isabella. »Nichts weiter. Außer dass er dich besuchen würde. Morgen. Um diese Zeit. Das war alles. Dann schickte er mich wieder weg. Zumindest hat er mich nicht mehr mit einem Fußtritt aus der Offizin geworfen wie früher.«
Für einen Moment herrschte Ruhe. Erst jetzt fiel Isabella auf, dass die Vorstellung beendet war und die Puppenspieler ihre Bühne zusammenpackten. »Er kommt also morgen?«, vergewisserte sie sich. »Nach der Sext?«
»Ja, Isabella. Nach der Sext. Jetzt bist du an der Reihe. Was soll ich nicht wissen wollen?« Aus Marcellos Stimme hörte Isabella eine Vorahnung heraus, als wäre er auf eine schlimme Nachricht gefasst. Das war gut so, denn was sie ihm zu sagen hatte, würde ihn treffen.
»Suor Maria ... deine Schwester ... sie ist tot. Sie wurde ... sie starb gestern Nacht.« Sie sagte es so deutlich, so leise, so sanft, wie es ihr möglich war. Die Reaktion Marcellos verblüffte sie. Einen Aufschrei hatte sie erwartet, ein Aufheulen, ein Schimpfen und Fluchen und Um-sich-Schlagen. Doch Marcello saß da wie versteinert, den Blick auf einen Punkt gerichtet, der weit jenseits des Gitters zu liegen schien. Nur seine Finger griffen in das Flechtwerk hinein und umklammerten es, bis sie weiß anliefen.
»Wie ist sie gestorben?«, fragte er leise.
»Sie ... «, Isabella stockte. Durfte sie ihm erzählen, was geschehen war? Sie entschied sich für die Wahrheit, doch nicht für die gesamte Wahrheit. »Sie ist erdrosselt worden. Wir wissen nicht von wem, doch sie hatte nachts anscheinend einen Besucher, einen Freier. Wir untersuchen gerade, wie es dazu kommen konnte.«
Marcello atmete hörbar ein und aus. »Sie war noch so jung. Du bist achtzehn. Maria war kaum älter. Zwanzig. Sie hatte keinen Bräutigam gefunden – und bevor sie als alte Jungfer im Haushalt unseres Vaters versauert wäre, hat sie das Kloster gewählt. Freiwillig.« Er stockte, schluckte, räusperte sich. »Wäre sie doch nur zu Hause geblieben!«
»Wir können das nicht mehr ändern«, versuchte Isabella ihn zu trösten. »Weißt du, wie deine Schwester ihren Geliebten ins Kloster brachte? Kennst du ihn womöglich?« Isabella war es unangenehm nachzufragen, denn sie sah wohl, dass Marcello die Nachricht schwer getroffen hatte. Offenbar hatte er seine Schwester geliebt. Wie anders stand es zwischen ihr selbst und ihrem Bruder!
»Ich weiß nicht, wer es ist. Sie hat einmal erzählt, dass sie sich Männer hier aus dem Besucherraum zu sich geholt hat. Es sei weder schwer noch verwerflich. Alle Schwestern würden das tun. Jung und alt gleichermaßen. Doch wie die Männer ins Kloster kommen, ist einfach zu beantworten.«
Isabella blieb der Mund offen stehen. Ordensschwestern, die ihre Liebhaber aus den Besuchern auswählten, geheime Zugänge, die jedem bekannt waren, nur nicht den Neuankömmlingen, nächtliche Besuche. War sie in einem Bordell gelandet oder in einem Kloster?
»Und wie kommen sie hinein?«, flüsterte sie.
»Ich bin mir nicht sicher, doch Maria hat erzählt, die Cellerarin kenne einen Zugang. Sie verwahre den Schlüssel dazu. Sie öffne ein Tor für die Besucher und sie schließe es wieder hinter den nächtlichen Gästen.«
Isabella suchte nach den Fingern ihres Geliebten und drückte sie. »Du musst mich wieder besuchen kommen. Bald!«, betonte sie. »Und trauere nicht zu sehr um Maria. Sie hatte eine schöne Zeit im Kloster, soweit es ihr möglich war«, versuchte sie Marcello zu trösten.
Die Glocke läutete zum Abendbrot. Alle Nonnen sahen auf.
Die Verabschiedung erfolgte rasch. Die Vesper
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