Die Botschaft Der Novizin
beigesetzt worden sein soll?«
Jetzt erhob sich der Alte. Ohne ein Wort von sich zu geben, ging er auf einen Stapel von Büchern zu. Eine der gewaltigen Handschriften, beinahe so schwer wie er selbst, die in dickes Schweinsleder gebunden war, zog er daraus hervor, und wuchtete sie auf ein Pult. »Das hier ist eine Abschrift des Neuen Testaments. Nicht ein Wort enthält die Bibel davon, wo sich Maria nach dem Tod ihres Sohnes aufgehalten hat. Man erfährt nur, dass sie zusammen mit den Aposteln auf das Pfingstwunder wartet. Mehr nicht. Alles andere ist Erfindung, zu ihrem Schutz.«
»Also auch die Tatsache, dass die Kirche das leere Grab Marias seit Jahrhunderten in Jerusalem vorzeigt. So ist Eurer Meinung nach die Gedächtniskirche, die dort zu Ehren der Gottesmutter errichtet wurde, ein frommer Betrug?«
Der Alte zuckte mit den Schultern. »Meine Sache ist nicht der Glaube, sondern es sind die nachprüfbaren Tatsachen. Weder der Jerusalempilger Arculf, ein gallischer Bischof, von dessen Reise der irische Abt Adamnanus von Iona berichtet, hat indem Felsengrab im Tal Josaphat etwas gefunden noch der Wandermönch Willibald, der in späteren Jahren in Eichstätt die Bischofswürde erlangt hat.«
Padre Antonio senkte das Haupt. Der alte Bibliothekar wusste, wovon er sprach, und in seinen Worten lag eine suggestive Kraft, der er sich nur schwer entziehen konnte. »Auch im Grab des Herrn war kein Leichnam zu finden«, verteidigte sich der Pater, doch nur noch halbherzig und eher aus einem Pflichtgefühl heraus.
Ganz ruhig widerlegte der Alte seinen Einwand. »Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass eine solche Grabstätte Pilger anzog und damit Geld einbrachte.«
»Die apokryphe Abhandlung De transitu beatae Mariae virginis berichtet ausführlich über Tod und Himmelfahrt Marias ...«, setzte der Pater nach, doch er wusste sehr wohl um die Schwäche seines Arguments.
»... und ist längst als Fälschung unbekannter Herkunft entlarvt, mein Freund. Bemüht Euch nicht. Das eine ist so wahrscheinlich wie das andere. Die Menschen verlangt es nach biografischer Vollständigkeit gerade eines solchen Lebens. Dieses Bedürfnis wurde befriedigt.« Der Alte lehnte sich zurück.
»Aber ...«, wollte der Pater nachsetzen.
»Nichts aber. Jetzt frage ich Euch ernsthaft: Wenn Euch solch ein schriftlicher Hinweis in die Hände fällt, der besagt, dass die Mutter desjenigen, ›auf dessen Wiederkehr wir hoffen‹, in Ephesos ihre letzte Ruhestätte gefunden hätte, ist es da nicht Eure Pflicht, nach der Echtheit dieser Entdeckung zu forschen? Bedenkt: Die Kirche, der Papst, die Kurie sind nicht die allerletzte Instanz in Fragen der Richtigkeit biblischer Aussagen. Das ist vielmehr die Wirklichkeit.«
»Wenn man die Wirklichkeit Richter sein ließe über die Wahrheit, würde der Glaube in Bruchstücke zerfallen und sich auflösen. Der Glaube ist ein in sich abgeschlossenes Ganzes und mehr als die Summe aller Wirklichkeiten.«
Jetzt lachte der Alte. Es war ein kehliges, ungesundes Lachen, das jedoch Humor verriet und Padre Antonio einen Hinweis darauf gab, dass dieser Mann sich einen kritischen Geist und eine durchaus gesunde Selbstironie bewahrt hatte.
»Ihr solltet Euch, Padre Antonio, nicht an der Frage des Sterbeorts festbeißen. Das ist zwar nicht unwichtig, viel wichtiger erscheint mir die Bemerkung, mit der dieses Brieffragment endet.« Er stockte kurz, dann setzte er hinzu. »Es hat eine Zeit gedauert, bis ich sie meinem Gedächtnis entreißen konnte.« Padre Antonio wusste sofort, was gemeint war. »... habe ich Dir, bester Freund«, fuhr der Verfasser des Briefes weiter unten fort, »in einer besonders gekennzeichneten Amphore einen Schatz mitgegeben, der für unseren gemeinsamen Glauben von Bedeutung sein könnte. Diese Mariam hat es nämlich unternommen, gegen Ende ihres doch langen Lebens die Geschichte desselben ... « So lautete der Satz, der abrupt abbrach und sich wohl auf einem zweiten Bogen fortsetzte. Der Geistliche hatte das Blatt mehrmals gewendet, doch eine Fortführung gab es nicht. Der Text endete mitten im Satz.
»Was glaubt Ihr aus diesen Worten herausgelesen zu haben?« Padre Antonio wollte den Alten mit Namen ansprechen, als er bemerkte, dass dieser ihm immer noch nicht bekannt war. Selbst Hieronymus Aleander, sein Auftraggeber, hatte ihn immer nur »den Alten« genannt.
»Nichts weiter als die Wirklichkeit«, entgegnete ihm der Bibliothekar, »die Ihr so geringschätzt. In Amphoren wurden damals
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