Die Botschaft Der Novizin
einzelnen Kerze darin. Er hob ihn an und betrachtete kurz das Bild über dem Eingang, dessen Spruchband zu flattern schien, weil das Licht flackerte. Die zweite Tür öffnete sich, und Padre Antonio wurde in den Konvent eingelassen.
Er hatte seine Zelle direkt in der Nähe des Eingangs, weitab von den Zellen der Schwestern. Ein Wunsch der Äbtissin. Doch er dachte im Augenblick nicht daran, sich schlafen zu legen. Langsam ging er in das Ganggewirr des Klosters hinein und lauschte auf das tiefe Atmen der Stille, das in alten Gemäuern immer etwas unheimlich und bedrohlich wirkt, als kämpften die Jahrhunderte darin um Atemluft. So blieb der Pater stehen und horchte mit geschlossenen Augen.
Bald musste es zu den Vigilien läuten, und das Klappern der Holzschuhe würde das tiefe Ziehen der Zeit übertönten. Eben wollte er sich umdrehen und für ein paar Stunden Schlaf seine Pritsche aufsuchen, als ein gellender Schrei durchs Kloster hallte.
KAPITEL 23 Isabella streckte einfach die Arme von sich und lief geradeaus. Sie rannte gegen einen Körper, griff in Weiches und stieß es durch die Wucht ihres Aufpralls beiseite. Sie hörte nichts außer ihrer eigenen durchdringenden Stimme, vermochte ihre Beine nicht zu kontrollieren, die einfach liefen, und stand plötzlich auf dem Gang, der zum Chor führte. Ohne zu überlegen, hastete sie über den kalten Boden, barfuß und so schnell ihre Füße sie trugen. Wellen von Angstschauern jagten ihr den Rücken hinab und trieben ihre Beine an. Es war wie ein Drang, ein Gebot, ein Mechanismus, der, einmal angestoßen, ablief wie von selbst. Ihre Stimme verstummte, weil der Hals bereits schmerzte, dennoch stieß sie in kurzen Abständen erstickte Laute aus, als wollte sich ihre Seele eines Überdrucks entledigen. So rannte sie den Gang entlang, die Treppe hinab und den nächsten Korridor weiter, bis sie sich im Labyrinth der Klosteranlage völlig verlaufen hatte. Das schürte in ihr weiter Angst und Verzweiflung. Isabella begann zu lauschen, ob sie verfolgt wurde, ließ sich vom Echo ihrer eigenen Schritte hetzen, das in der Dunkelheit immer bedrohlicher wirkte.
Plötzlich stand sie im Kreuzgang des Klosters. Das unwirkliche Blau des Mondlichts flutete den Innenhof mit der Zisterne. Die Säulen standen wie Sperrgitter gegen den Himmel. Ihre überreizten Sinne entdeckten, dass sich Figuren, die sich tagsüber ein wenig seltsam, jedoch harmlos ausnahmen, zu Fratzengesichtern verzerrten, Flügel in den Nachthimmel schlugen und sich zu bewegen schienen, sobald man sich selbst bewegte. Wieder quollen Furcht und Grauen in ihr hoch. Die Schatten trieben sie durch den Innenhof, scheuchten sie von einer Ecke des Kreuzgangs in die andere. Aus den Fenstern darüber glaubte sie ein Flüstern zu hören, ein wisperndes »Isabella!«. Sie spähte hinauf, und ihr Atem stockte. Hinter einer der Säulen verbarg sich eine Gestalt mit Turban, die zu ihr herabgrinste, halb verborgen durch die Finsternis und die Pflanzenranken des Kapitells, halb enthüllt durch das Mondlicht. Das Wesen lugte umdie Säule herum und machte Anstalten, die schlanken Zweige beiseitezuschieben und durch das Dickicht hervorzubrechen und sich auf sie zu stürzen. Wie der Wind machte Isabella kehrt, fand eine der Türen, die sie zurück in den Trakt des Dormitoriums führte, und jagte einen verwinkelten Flur entlang.
Hinter einer der Biegungen lief sie ihrem Verfolger in die Arme. Isabella schrie, schrie aus Leibeskräften, doch ihre Stimme vermochte keinen reinen Ton mehr zu bilden und krächzte nur noch. Ihr Verfolger schlang seine Arme um sie, hielt sie fest, drückte sie zu Boden. Sie zuckte, versuchte zu schlagen, doch kräftige Glieder hielten sie fest. Isabella erstarrte zuerst. Jetzt mussten die Hände ihres Peinigers nach ihrem Hals greifen, mussten ihn umfassen, zudrücken. Für einen Augenblick sah sie vor ihrem inneren Auge die blauen Stellen an der Kehle der Tante – und dann verließ sie die Kraft. Sie widersetzte sich nicht mehr. Erschlaffte. Sie fühlte noch, wie sie getragen wurde, konnte sich jedoch nicht dagegen wehren. Nichts hatte mehr eine Bedeutung für sie ...
»Um Gottes willen, Isabella!«, hörte sie eine Stimme sagen. »Kommt zu Euch! Was ist geschehen?«
Zuerst drangen die Worte nur unbestimmt wie ein fernes Rauschen an ihr Ohr, in Fetzen, die sie sich selber zusammenstückelte. Dann wurden sie deutlicher. Als sie die Augen aufschlug, sah sie das Gesicht Padre Antonios über sich schweben. »Ihr
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