Die Botschaft Der Novizin
in schwarzen Umhängen unter Masken, Prostituierte in farbigen Kostümen, schillernde adlige Gecken mit juwelenbesetzten Schwertern, Orientalen mit Turbanen, junge Priester auf der Suche nach einem Abenteuer und sogar Mönchskutten machteder Pater unter all den Nachtschwärmern aus. Am liebsten hätte er sich in den Schatten eines der Palazzi gestellt und nur dem Trubel zugesehen. Dazwischen jedoch tauchten immer wieder Gestalten auf, die sich für nichts zu interessieren schienen, nur ihre Umgebung aufmerksam beobachteten und sofort ins Dunkel verschwanden, wenn sie sich selbst beobachtet fühlten: die Signori di Notte al Criminal , die Herren der Nacht.
Wie eilig es all diese Menschen hatten, als liefe ihnen ihr Leben davon und sie müssten hinterher, um es nicht zu verpassen. Sie achteten nicht mehr aufeinander, sondern rannten achtlos aneinander vorbei. Sie schauten sich noch nicht einmal in die Augen, als liefen sie Gefahr, in ihrer maßlosen Hast erkannt zu werden.
Gerade über die Brücke am Rialto strömten die Leiber wie über eine Stromschnelle, als beschleunigte sich dort das Leben auf ungeahnte Weise. Padre Antonio ließ sich durch diese Enge hindurchdrücken, um auf der anderen Seite, auf dem Gebiet von San Marco regelrecht angespült zu werden.
Er beschloss, die ruhige Salizzada di San Lio zu nehmen, die Hauptstraße über Santa Maria Formosa nach San Lorenzo, den direkten Weg, ohne viele Umschweife. Dabei lockte ihn diese quirlige Flamme des Lebens, die auf dem Wasser der Lagune tanzte wie ein Irrlicht.
Der Pater verdrängte seine Gelüste auf dieses Feuerwerk des heißen Blutes und bemühte sich, seine Gedanken wieder in die Bahnen zu lenken, die der Sammler ihm gewiesen hatte. Während er durch das nächtliche Venedig stapfte, versuchte er sich an mehr zu erinnern als an seine Furcht vor dem Ertrinken.
Zehn Jahre sei es her gewesen, dass er erstmals auf einen Hinweis gestoßen sei, hatte ihm der Alte verraten, als Tätowierung auf der Haut. »Maria lebt« habe auf der Handinnenfläche einer Ertrunkenen gestanden, die er selbst aus dem Wasser gezogen habe. Auf der Höhe von Santa Maria Formosa. Er habe sich damals nichts dabei gedacht. Die Stadt beherbergte seit jeher eineVielzahl merkwürdiger Geschöpfe. Dennoch habe ihn dieser Satz nicht mehr ruhen lassen. Was hatte es zu bedeuten, dass Maria lebte, warum ließ sich eine Frau diesen Spruch eintätowieren und warum vor allem in die Handinnenfläche?
Zudem sei ihm diese Frau aufgefallen. Er habe sie aus dem Wasser gefischt, weil er sie für einen Mann gehalten hatte. Sie war kahl geschoren gewesen. Am gesamten Körper kein Haar mehr, wie bei einer der Käuflichen. Und doch habe ihre Haut weißlich geschimmert wie Kerzenwachs, was ihn verwundert hatte, denn die Dienerinnen der körperlichen Liebe verrichteten ihre Arbeit zumeist im Freien. Nur die teuren Kurtisanen Venedigs besäßen eigene Wohnungen, wo sie sich von den Reichen der Stadt umwerben ließen. Er habe daher bei diesem armen Geschöpf sofort eine Nonne vermutet.
Dann sei ihm die Tätowierung aus dem Gedächtnis entglitten, wie manch einer der Bücherstapel in seiner Sammlung verrutsche und sich beiseitelehne, um wichtige Entdeckungen wieder unter sich zu begraben. Erst als er auf den Brief gestoßen sei, hätten der Satz und seine Idee, es könnte sich um eine Ordensfrau gehandelt haben, wieder an Bedeutung gewonnen. Von diesem Moment an habe er sich mit der Geschichte der Klöster befasst und festgestellt, dass San Giovanni Evangelista in Torcello das älteste Kloster in der Lagune sei, ein Benediktinerinnenkonvent, gegründet im Jahre 640. Einhundertsechzig Jahre später habe man Castello San Zaccaria und noch einmal fünfzig Jahre darauf San Lorenzo gegründet. Zwar sei danach noch so mancher Konvent eröffnet worden, doch diese drei Klöster hätten seine Aufmerksamkeit erregt, weil sie alle drei eine Besonderheit aufgewiesen hätten. Nach dem Brief des Hekataios sei die Amphore in Richtung Westen nach Aquileja verschifft worden. Von dort verliere sich ihre Spur, allerdings nicht ganz. »Erinnert Ihr Euch an den Empfänger des Briefes?«, hatte er gefragt und den Pater erwartungsvoll angesehen.
»Einen Mann ohne Namen, gewiss.« Padre Antonio war in seinemElement. Namen konnte er sich hervorragend merken – und im Brief tauchte kein Name auf.
Ein gewisser Kaufmann aus Aquileja sei es gewesen. Aquileja habe eine der ältesten christlichen Gemeinden besessen. Und der Bischof
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