Die Botschaft Der Novizin
Es fallen mindestens ebenso viele Soutanen wie Nonnenhabits. Nachts scheint das Kloster beinahe lebendiger zu sein als tagsüber.« »Ihr übertreibt«, warf Padre Antonio ein. »Es geht nicht schlimmer zu als in anderen Konventen. Im Gegenteil. Hier bestimmen offenbar nicht die ganz großen Familien Venedigs.«
»Ihr täuscht Euch. Ich habe nur wiedergegeben, was Suor Maria mir gesagt hat. Ich selbst bin zu kurz im Konvent, als dass ich darüber urteilen könnte.« Langsam gewann sie wieder Kontrolle über ihr Atmen und die zuckenden Muskeln. Das unkontrollierte Zittern legte sich, und doch blieb ein unterschwelliger Aufruhr zurück, an den sich alles im Körper zu erinnern schien.
»Erzählt mir, was es mit diesem Schlüssel auf sich hat!«, drängte der Pater.
Isabella blieb stumm. Wenn sie vom Schlüssel erzählte, musste sie vom Chorbuch erzählen. Doch bevor sie beginnen konnte, wurde sie von Padre Antonio überrascht. »Vertrauen gegen Vertrauen, Isabella. Ich werde Euch ebenfalls etwas berichten. Ich hoffe auf Eure Verschwiegenheit.«
Isabella nickte. Sie richtete sich auf und setzte sich so, dass sie mit dem Rücken zur Wand lehnte. Die Flamme der Neugier züngelte in ihr hoch.
»Ich bin nicht nur hier, um das Leben der Schwestern im Konvent zu San Lorenzo zu kontrollieren. Das natürlich auch. Ich selbst suche nach Büchern und Manuskripten im Auftrag der Vatikanischen Bibliotheken. Hieronymus Aleander, der ehemalige Leiter jener Institution, hat mich hierher nach Venedig geschickt. Ich soll Manuskripte ausfindig machen, die in die Bibliotheken des Vatikans eingegliedert werden sollen. Vor allem an einmaligen Werken bin ich interessiert, die nicht verloren gehen dürfen. Wir fertigen Kopien an, begutachten die Schriften auf ihre Echtheit hin und geben sie dann zurück an den Konvent. Das ist alles. Mein Problem ist nur, dass ich oftnicht weiß, wonach ich suchen soll. Vielleicht könnt Ihr mir helfen. Vielleicht handelt es sich ja um ein solches Manuskript oder um ein ähnliches Artefakt. Womöglich hat der Schlüssel damit zu tun?«
Isabella sah den Pater an. Von solchen Leuten hatte sie bereits gehört. Männern, die nach irgendwelchen Aufzeichnungen suchten. Vater druckte in seiner Offizin griechische und römische Schriften nach und verschickte sie in alle Welt. Die Gelehrten jenseits der Alpen gierten regelrecht nach Neuentdeckungen. Dabei waren auch Texte darunter, die vielleicht besser unveröffentlicht geblieben wären, weil sie der Lehre der Kirche widersprachen. Sie erinnerte sich an ein Manuskript, von dem der Vater erzählt hatte. Um die Zeit der Niederlage von Ardagnello hatte ein Augsburger Instrumentenbauer nach einem griechischen Manuskript eine Horoskopmaschine gebaut, deren Konstruktion die Erde aus dem Mittelpunkt des Universums verbannte und zu einem Planeten unter anderen Planeten machte. Vater hatte das Manuskript unter dem Siegel der Verschwiegenheit erworben und nachdrucken wollen. Doch selbst der Signoria erschien die Idee zu gefährlich, und sie ließ das Werk beschlagnahmen und wegschließen. Sicherlich schimmelte es noch immer hinter den Mauern des Dogenpalasts.
»Suchen mich die Schwestern?«, fragte sie plötzlich.
»Noch hat es nicht zu den Vigilien geläutet. Ihr werdet also nicht vermisst«, antwortete der Pater leise.
»Lasst mich gehen. Ich muss es mir überlegen.«
»Wenn ich Euch helfen soll, wartet nicht zu lange damit.« Der Pater sprach ernst.
Isabella erhob sich und versuchte die ersten Schritte alleine, doch sie musste die Hilfe des Paters annehmen. Ihre Knie knickten ihr weg. Rührend fand sie, wie der Pater sie unterstützte und dabei versuchte, sie möglichst nicht zu berühren, als wäre die Berührung eines weiblichen Körpers ein Sakrileg. Nach den ersten Schritten fand sie Tritt und ließ sich aus demGästetrakt hinausgeleiten. Jetzt, da das gesamte Kloster wach war, fühlte sich Isabella sicherer. Dennoch musste sie sich den Schweiß abwischen. Sie zog dafür aus ihrem Ärmel ein Tuch, in das ihre Initialen eingestickt waren.
»Gehört das Euch?«, fragte der Pater so leise, dass sie ihn beinahe nicht verstanden hätte.
Einer bloßen Eingebung folgend warf sie ihm das Tuch zu, das er geschickt mit einer Hand fing und sich an die Nase führte. Er roch daran, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Die Glocke vibrierte durch den Konvent. Es wurde zu den Vigilien gerufen.
Isabella löste sich von Padre Antonio. Sie drehte sich zu ihm um.
»Kommt Ihr
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