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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Früchten. Wenn er sich nicht irrte, dann waren das Orangenbäumchen, nicht die bitteren Pomeranzen, die allenthalben in Kübeln gezogen wurden, sondern wohlschmeckende, saftige Orangen aus der neuen Welt. Die Pflanzen standen fruchtlos und eher bescheiden in ihrem Grün links und rechts der Grube und erinnerten fatal an Grabgewächse.
    Mit einem Aufatmen setzte er den Weg fort. Er wunderte sich über die geringe Anzahl Gräber. Doch es war zu vermuten, dass die Toten nicht allzu lange in dieser geweihten Erde verblieben. Als er das Ende des Friedhofs erreichte, bestätigte sich seine Annahme. Den rückwärtigen Teil schloss ein Ossuarium ab, ein Beinhaus in Form einer Kapelle. Fein säuberlich waren dort die Überreste der Verstorbenen abgelegt und die Schädel, Arm-, Bein-und Beckenknochen mit Namen beschriftet. Sonst wäre der Friedhof im Laufe der Jahre bald zu eng geworden. Die Kapelle war mit einem Gitter verschlossen, damit nicht streunende Tiere die Überreste verstreuten.
    Von der Kirche her drang Chorgesang; die Nonnen beteten die Litanei für die Tote. Padre Antonio wollte sich bereits umdrehen und an der Wassermauer entlang zurückgehen, als ihm im hintersten Winkel, von seinem Standort aus gerade noch zu sehen, ein besonderer Teil des Beinhauses auffiel. Die Knochenreste waren zu weit weg, als dass er sie genau erkennen konnte. Rasch blickte er um sich. Er war allein. Der Gesang drang noch klar und deutlich aus der Kirche und legte einen Schleier der Melancholie über den Ort. Rasch hob er den Riegel des Gitters an. Er fand das Tor offen, trat ein und lief in einer Eile, die diesem Ort völlig unangemessen war, bis zu einer Nische.
    Dort lagen, von den anderen Gebeinen getrennt, die Knochen von mindestens fünfundzwanzig Frauen. Allein die Absonderung von den anderen war eigenartig. Noch merkwürdiger erschien ihm die Aufschrift auf den Schädeln. Er nahm einen in die Hand und las: Sr. Benedicta cd 1521 . Dabei brauchte er nicht lange, das Kürzel zu entschlüsseln. Sr. hieß schlicht ›Suor‹; also hatte er es mit einer Schwester Benedicta zu tun. Wesentlich rätselhafter war das Kürzel cd . Es konnte nur eines bedeuten: Custodes Domini, die Wächter des Herrn.
    Überrascht sah sich Padre Antonio um, ob ihn jemand bei seinem Tun beobachtete. Noch einmal besah er sich die schwache Tuscheschrift aus der Nähe. Die hohlen Augen des Schädels schienen sich an seiner Verblüffung zu weiden. Er irrte sich nicht. Dann legte er den Schädel zurück und schloss das Gitter, nicht ohne mit einem Blick erfasst zu haben, dass alle Knochen in dieser gesonderten Nische eine entsprechende Beschriftung trugen.
    Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass der alte Sammler recht behalten hatte: Es gab diese Wächter tatsächlich! Wenn es sie jedoch gab, dann gab es womöglich auch die Amphore – und das Manuskript.
    Als er die Zunge durch seinen trockenen Mund führte, bemerkte er, dass er schnell atmend und mit offenem Mund am Gitter stand. Schleunigst richtete er sich auf und zwang sich, langsam die Wassermauer entlangzugehen. Etwa auf halbem Weg zur Kirche befand sich eine Pforte zum Wasser hin, der er jedoch keine weitere Beachtung schenkte. In Padre Antonios Kopf ballten sich die Gedanken zu einem Knäuel, das ihm kaum entwirrbar erschien und für das er sich ein Schwert wünschte, um es durchschlagen zu können wie einst Alexander den Gordischen Knoten. Die Custodes Domini wurden gesondert bestattet, was bedeutete, dass sie innerhalb des Klosters gleichfalls eine besondere Stellung einnahmen. Das hieß zwangsläufig, dass nicht alle Chornonnen gleichermaßen dieserGruppe angehörten. Wenn dies der Fall war, dann konnte es durchaus sein, dass nicht alle Nonnen vom Schatz des Klosters wussten und auch nichts von dem geheimen Orden innerhalb des Ordens ahnten.
    Noch bevor er die Kirche wieder betrat, kam dem Pater der Verdacht, dass hier ein Zusammenhang mit der Leiche Suor Francescas und deren Verschwinden bestehen könnte, sofern das, was die Educanda ihm berichtet hatte, der Wahrheit entsprach. Womöglich wurden die Custodes Domini gar nicht auf diesem Friedhof beigesetzt, sondern woanders. Nur die Gebeine fanden schließlich ihren Weg in das Ossuarium, wenn es an der Zeit war. Das würde einiges erklären.
    Der Pater ging durch den Seiteneingang in die Kirche zurück und stellte fest, dass der Patriarch soeben die Messe beendete. Er sprach der Toten, die vor dem Altar aufgebahrt war, den Segen. Bald würden die

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