Die Botschaft Der Novizin
»Sie tragen Suor Maria zu Grabe!«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Marcello löste sich von ihr, trat vor die Tür, langte in eine Mauerspalte und holte einen Schlüssel hervor. Er blies ihn sauber und steckte ihn ins Schloss. Ein doppeltes Knacken verriet, dass der Riegel zurückglitt.
Er drückte die Tür nach innen auf, und mit einer einladenden Bewegung bat er Isabella hinein. Dann wollte er hinter ihr herkommen, doch Isabella hatte sich in dem Moment, als sie das Läuten der Totenglocke vernommen hatte, besonnen. Sie legte die Hand auf seine Brust.
»Warte hier, bis ich zurück bin. Schließ ab!«
»Ich dachte, du wolltest mich dabeihaben?«, fragte Marcello irritiert. »Hat es mit eben zu tun?«
Isabella lächelte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Nichts. Ich habe nur so ... so ein ungutes Gefühl, wenn ich einen Mann bei mir habe. Es ist schließlich ein Nonnenkloster!« Sie sah ihn verlegen an und legte ein Bitten in ihren Blick, das ihn hoffentlich erweichte.
Marcello betrachtete seine nach neuester Mode breit gefertigten Schuhe und seufzte. »Ich warte hier zwei Stunden. Wenn du dann nicht aufgetaucht bist, komme ich dich suchen.«
Ein Lächeln huschte über Isabellas Gesicht. In zwei Stunden wäre sie längst zurück. Also nickte sie, warf ihm eine Kusshand zu und verschwand im Inneren, während sie noch hörte, wie er die Tür zuzog und verriegelte.
Als sich der Schlupf hinter ihr schloss, wäre sie am liebsten zurückgelaufen und hätte Marcello gebeten, doch bei ihr zu bleiben. Aber allein war sie sicherer. Würde sie nämlich im Nonnenchor entdeckt werden, während sie in der Chorhandschrift blätterte, könnte sie sich zumindest damit herausreden, sie habe nur Suor Ablata zur Hand gehen müssen. Anders sah es aus, wenn sie von einem Mann begleitet wurde. Nein, es war richtig, Marcello vor dem Tor gelassen zu haben.
Isabella sah sich um, um festzustellen, wo sie war und wie man von dort aus in den Nonnenchor gelangte. Der säuerliche Geruch verriet, dass sie sich im Vorratsgebäude befand. Tatsächlich erkannte sie bald die Umgebung wieder und stand schließlich im Backhaus. Von dort aus ging alles recht einfach. Isabella verließ den Raum, schlich den Korridor entlang und trat durcheine schmale Tür hinaus auf den Kreuzgang. Zuerst spähte sie umher, ob nicht eine versprengte Chornonne durch die Säulenhalle schlich, doch die Frauen waren offenbar tatsächlich alle dabei, Suor Maria die letzte Ehre zu erweisen.
Isabella trat auf den Innenhof hinaus und huschte einen Gang entlang bis ans Ende. Dort blieb sie stehen und spähte um die Ecke nach verdächtigen Bewegungen. Als sie losgehen wollte, fiel ihr Blick auf eine Figur der Kapitelle. Eisig fuhr es ihr in die Brust, und sie erstarrte in der Bewegung.
KAPITEL 29 Padre Antonio nagte unentschlossen an seiner Unterlippe. Zu gerne hätte er gewusst, was mit der Educanda, dieser Isabella Marosini, geschehen war – und ob sie mit ihrem Hirngespinst, der toten Tante, recht hatte.
Der Äbtissin hatte er mitgeteilt, dass er wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht an dem Begräbnis teilnehmen könne. Das Totenamt hatte er wiederum dem Patriarchen aufs Auge gedrückt, der sich nur widerwillig dazu hatte überreden lassen. Die Aussicht jedoch, nach der Grablegung am Abend die peinlichen Befragungen fortzuführen, hatte ihn zugänglicher gestimmt – und ihm selbst so einen Freiraum verschafft.
Diesen nutzte er, um einen Blick auf den Friedhof zu werfen. Durch die Kirche war er in den ummauerten Bereich südlich von San Lorenzo gelangt, vorbei am Grabmal des berühmten Reisenden Marco Polo, der bis an den Rand dieser Welt gelangt war. Padre Antonio hatte selbst dafür gesorgt, dass der Reisebericht des Venezianers auch in einem Exemplar in die Vatikanischen Bibliotheken gelangt war. Sowohl dieser Erfolg, an den er durch das Grabmal erinnert wurde, als auch der Friedhofsgarten selbst hoben seine Stimmung. Der Cimitero, dessen Mauer auf der einen Seite an den Kanal stieß und auf der anderen an den Vorplatz der Kirche grenzte, wirkte wie ein Obstgarten. Zitronen wuchsen darin und Äpfel. Der Duft derZitronenblüten lag wie ein leichter Hauch über dem Innenhof und gab dem erdigen Aushub, der sich unter einem der Bäume angesammelt hatte, eine herbe Note. Am Kopfende des Grabes standen zwei Bäumchen mit merkwürdigen dicklichen Blättern. Padre Antonio hatte solche Pflanzen bereits einmal gesehen, in Portugal, allerdings behängt mit
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