Die Botschaft Der Novizin
Nonnen in der Kirche erscheinen, mit schwarzen Schleiern über dem Gesicht, die Köpfe in Trauer geneigt. Helfer würden den Sarg aufnehmen und ihn, die Nonnen im Gefolge, hinüber zum Friedhof tragen, während die Stimmen der lebenden Schwestern der Toten einen Teppich aus Klängen bereiteten.
Gesenkten Hauptes schlich er sich an den Gläubigen vorüber, die nur die Messe besucht hatten, senkte das Knie vor dem Altar und schlüpfte nach draußen. Bevor die Gemeinde aus der Kirche strömte, eilte er hinüber zur Pforte und schloss auf. Dafür hatte er sich von der Äbtissin einen Schlüssel erbeten und erhalten. Eine gewisse Unruhe trieb ihn durch die Gänge, ein Gemisch aus Angst und Tatendrang, das ihm Magenschmerzen bereitete. Er wollte das Kloster durchstreifen, solange die Frauen vor dem offenen Grab standen. Ziellos, planlos ging er weiter, bis ihm mit einem Schlag bewusst wurde, wohin er wollte. Der einzige Raum, zu dem er nur mit äußerster Überredungskunst Zugang erhalten würde, war der Nonnenchor, das Allerheiligste der Benediktinerinnen. Dorthin zog es ihn. Alser sich dessen bewusst wurde, fühlte er sich wohler. Der Druck auf seinen Bauch ließ nach, und er eilte eine der Treppen in den zweiten Stock hinauf, mehrere Stufen auf einmal nehmend. Erst als er vor dem schweren, mit breiten Eisenbändern beschlagenen Portal stand, das auf den Nonnenchor hinausführte, hielt er inne. Die Tür war versperrt, und Padre Antonio konnte sich dumpf daran erinnern, den schweren eisernen Schlüssel am Gürtel der Äbtissin gesehen zu haben. Aus Wut darüber, nicht nachgedacht zu haben, hieb er mit der Faust gegen das Holz und horchte auf den dumpfen Klang, der vom Inneren des Chors zurückgeworfen wurde.
Das war zwar keine Lösung, doch der Schmerz in seiner Hand hatte etwas Erleichterndes. Den zweiten Schlag verhinderte ein Geräusch, das rasch näher kam und sich anhörte, als haste jemand mit kurzen, schnellen Schritten über den Terrazzo -B oden. Wenn ihn jetzt jemand sähe, gäbe es sicher ein Gezeter, und noch sicherer würde man ihn bei der ehrbaren Mutter Äbtissin anschwärzen. Also drückte er sich in einen Winkel der Türfüllung, in der Hoffnung, die Unbekannte würde nicht in den Stichgang zum Nonnenchor einbiegen.
Und selbst dafür hatte er sich rasch eine Strategie zurechtgelegt: Wenn jemand auftauchte, wollte er so rasch aus der Tür heraustreten, als wäre er durch das Holz selbst hindurchgegangen. Dennoch konnte er es nicht lassen und spähte mit einem Auge auf den Gang hinaus. Er nahm ein Huschen war. Tatsächlich eilte eine Nonne vorbei, kenntlich am Habit. Das verunsicherte ihn, da die Nonnen ja eigentlich alle bei der Beisetzung sein sollten. Doch was ihn am meisten irritierte war, dass er geglaubt hatte, das Gesicht zu erkennen. Isabella?
Die Nonne lief am Stichgang vorbei. Padre Antonio zögerte keine Sekunde. Er versuchte, sich an die Fersen der Educanda zu heften, doch als er um die Ecke bog, war sie bereits verschwunden. Der Pater rieb sich die Augen. Selbst wenn die Educanda die letzten Meter geflogen wäre, hätte er sie sehenmüssen. Doch nicht ein Fädchen ihres Gewandes war mehr im Gang vorhanden, nicht ein Luftzug kräuselte die Luft.
Padre Antonio stutzte. Das war unmöglich – wenn nicht sogar Hexenwerk, obwohl er daran am allerwenigsten glaubte. Wo, um alles in der Welt, war Isabella abgeblieben?
Der Geistliche war lange genug in alten Gemäuern aufgewachsen und erzogen worden, um sich bewusst zu sein, dass Bauten wie dieses Kloster, die immer wieder abgebrannt und unter Mühen wieder aufgebaut und erweitert worden waren, stillgelegte Durchgänge, Nischen und Mauerlücken besaßen. Allein deshalb weckte das Verschwinden der Educanda seine Neugier. Er trat einen Schritt in den Gang hinein und begann die Mauern genauer zu betrachten. Hinter ihm führten die Fenster hinunter in einen Innenhof, den die Frauen in einen Gemüse-und Kräutergarten verwandelt hatten, auf der anderen Seite erstreckte sich eine glatte Mauer, vermutlich die Seitenwand des Nonnenchors, die nur mit einem Bild geschmückt wurde. Wo sollte sich dort ein geheimer Gang verbergen? Padre Antonio beugte sich hinaus auf den Innenhof. Die Fensterfront fiel steil ab, und man konnte von oben den Grund für die Gestaltung des Innenhofs erkennen. In der Mitte erhob sich ein Brunnen, der vermutlich in eine Regenwasserzisterne führte, worauf auch die Dächerneigung und die Richtung der Regenrinnen aus Terracotta, die
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