Die Botschaft Der Novizin
Marcello noch einmal und hielt Isabella fest im Arm, die sich an ihn drängte.
Das hätte sie gerne selber gewusst. Doch sie konnte Marcello nicht mit einer Abenteuergeschichte aufwarten. Er hätte sie ausgelacht.
»Jedenfalls ein Mensch«, gab sie zurück, »denn er hat sich geärgert, weil ich ihm entkommen bin. Sein Warten und sein Geschrei am Ende haben ihn verraten.« Sie flüsterte jetzt nur noch aus Furcht, man könnte sie durch die Mauern hindurch hören. Sie versuchte so ruhig wie möglich zu klingen und konnte dennoch nicht verhindern, dass sich ihr bei dem Gedanken die Haare im Nacken aufrichteten. »Bring mich zurück, Marcello!«, bat sie leise und lehnte sich an seine Schulter. Sie war mit einem Mal so müde und erschöpft. Während sie mit geschlossenen Augen der Wärme von Marcellos Nähe nachspürte und fühlte, wie er mit einer Hand unter ihre Haube fuhr und über ihre Haare strich, vernahm sie aus San Lorenzo eine zweite Glocke, fein und dünn im Ton und gleichzeitig so fremd und dennoch vertraut, dass sie aufhorchte. Sie klang beinahe wie eine billigereAusgabe der Totenglocke des Kirchturms, die Suor Maria vorausgeläutet hatte. Wozu wurde diese Glocke geläutet? Isabella hob den Kopf und lauschte. Vom Wasser her vernahmen sie geschäftige Stimmen. Ein Boot landete an.
Marcello drängte Isabella in das Gebüsch unter dem Feigenbaum, damit sie außer Sicht waren. Isabella, ganz damit beschäftigt, das Geschehen vor ihr zu beobachten, wäre beinahe gestürzt. Überrascht sah sie, dass sich vor ihr die Ummauerung eines Brunnen im Dickicht verbarg und sie über den abgebrochenen Teil einer Figur gestolpert war.
»Was wollen die hier?«, flüsterte sie Marcello zu, als zwei Männer vor dem Zugangstor auftauchten und dort warteten. »Freier vermutlich. Womöglich werden sie von ihren Geliebten abgeholt? Ich weiß es nicht, doch wir sollten von hier verschwinden. Mein Gondoliere wird jeden Augenblick um die Ecke biegen und nach uns rufen.« Marcello folgte einem schmalen Pfad durch das Dickicht, der zum Ufer führte, und zog Isabella dabei an der Hand hinter sich her. Am anderen Ufer angelangt, außer der Sicht des Bootes der beiden Liebhaber, stieß Marcello einen Pfiff aus, der sofort beantwortet wurde. Bevor sich die beiden Männer entschieden hatten, woher er gekommen war, glitt die Gondel bereits aus dem Gebäudeschatten zu ihrer Rechten, und der Gondoliere hielt auf sie zu.
Rasch stiegen sie zu. Erst als sie den schwankenden Boden des Bootes unter ihren Füßen hatten, konnte Isabella erkennen, wie hell es draußen war. Die Sonne gleißte und legte ein Netz aus Goldfäden über das Wasser, als wolle sie damit die Menschen fangen, die in ihren Gondeln darüberglitten. Hinter den Booten verwischten sich die Fäden und bündelten sich in zwei Stränge. Erst als sie hinter dem Klostergebäude herausglitten und auf die Lagune im Süden zuhielten, schloss Isabella die Augen und lehnte sich zurück.
Nur der Gedanke an die beiden Männer schwirrte noch unruhig in ihrem Kopf.
KAPITEL 32 Padre Antonio folgte einem eigenartigen Klang, einem dünnen und hohen Ton, der nicht aus der Kirche stammte. Er war zu seiner Zelle unterwegs und hatte sich ohnehin gewundert, warum sich die Chornonnen nicht zur Arbeit einfanden. Der Tod war kein Fall der Trauer für einen Christen, sondern der Freude. Vor allem für diejenigen, die im Dienste des Herrn standen. Wer den Weg in die ewige Wahrheit und Wahrhaftigkeit gefunden hatte, wurde glücklich geschätzt. Die Glocke, die er hörte, begleitete dagegen eindeutig einen Trauerzug. Hatte die Educanda Isabella nicht etwas von einer Kapelle erzählt, die im älteren Teil des Klosters liegen sollte, vermutlich errichtet, bevor der Grundstein der großen Kirche gelegt worden war?
Mit langen Schritten lief er dem Klang nach und erreichte tatsächlich einen Teil des Klosters, der ihm bislang verborgen geblieben war. Die Mauern zeugten von einem Alter aus der Zeit der Gründung. Der Verputz war fleckig und bröckelte stark, die Luft roch kühler, was auf einen Lehmboden schließen ließ, auf den die Trittplatten des Gangs nur aufgesetzt waren. In den jüngeren Gebäudeteilen wurden sie auf ein Sandbett gelegt.
Links und rechts eines Ganges gingen Stichwege ab, die jedoch blind endeten. Manche der Türen waren verschlossen und besaßen nicht einmal mehr Knäufe. Es schienen Zugänge zu ehemaligen Nonnenzellen zu sein. Beleuchtet wurde der Gang durch schmale Oberlichter. Der
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